Wenn die Entgeltumwandlung gar keine Betriebsrenten-Versorgung schaffen kann, beispielsweise durch gezillmerte Tarife, dann besteht ein Lohnanspruch des Arbeitnehmers weiterhin. Folglich muss der Arbeitgeber auf die vermeintlich umgewandelten Beiträge Lohnsteuern (nach)zahlen und Sozialabgaben (nach)entrichten, nebst entsprechender Nachzahlungszinsen auf Lohn und Abgaben.
Im Rahmen der Vertragsrückabwicklung können die Arbeitgeber künftig alle bezahlten Beiträge und eine übliche Kapitalmarktverzinsung für diese Gelder von den Versicherungsgesellschaften zurückverlangen. Hinzu kommen potenzielle Schäden aus Mehrbelastungen durch Lohnnachzahlungen, Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, Nachzahlungszinsen und Rechtskosten. Ein Schadenspotenzial, das die 50-Milliarden-Euro-Marke weit übersteigen wird, hat der Sachverständige für Versicherungsmathematik und Aktuar DAV, Peter Schramm, errechnet. Die deutschen Versicherer sehen sich nun einer herben Kritik des Verbraucherschutzes ausgesetzt, denn seit dem Urteil des Stuttgarter Arbeitsgerichts vom 17.01.2005 (Az. 19 Ca 3152/04) hätten sie sensibilisiert sein müssen. Damals wurde bereits rechtskräftig festgestellt, dass der Arbeitgeber seine arbeitsvertragsgemäße Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer verletzt und sich deshalb schadenersatzpflichtig macht, wenn er bei der Betriebsrente in Verbindung mit einer Entgeltumwandlung gezillmerte Tarife wählt bzw. mit dem Finanzdienstleister einen Stornoabschlag vereinbart, ohne die Mitarbeiter zuvor darüber ausreichend zu informieren. Wider besseren Wissens haben die Versicherungsgesellschaften die Arbeitgeber mit lediglich rund 1,5Mrd.Euro Haftungsfreistellungen abzusichern versucht, allerdings nur für solche Entgeltumwandlungsverträge, die in der 2. Jahreshälfte 2007 abgeschlossen wurden. Dabei wurden entsprechende Rückstellungen in 2007 nicht einmal bilanziert.
Betroffene Arbeitgeber, so die Empfehlung des Münchner Haftungsexperten, Rechtsanwalt Dr. Johannes Fiala, die sich nun den berechtigten Ansprüchen ihrer Mitarbeiter ausgesetzt sehen, sollten daran denken, frühzeitig sicherzustellen, dass sich gegebenenfalls Vermittler bzw. deren Produktgeber im Rahmen einer denkbaren Haftung wegen fehlerhafter Beratung oder unterlassener Aufklärung an den Kosten und Lasten der Arbeitgeber beteiligen müssen. Aufgrund der gesetzlichen Vorgaben hätten sich auch vor den jüngsten Urteilen bereits Zweifel an der Zulässigkeit der Verwendung gezillmerter Tarife im Rahmen der Entgeltumwandlung aufdrängen müssen, da Rückkaufswerte bzw. Versorgungsleistungen, die nur einem Bruchteil der vom Arbeitnehmer eingebrachten Gelder entsprechen, keinesfalls das Kriterium der Wertgleichheit erfüllen können.
Für den Arbeitgeber bedeuten gezillmerte Tarife bei der Entgeltumwandlung, dass gar keine betrieblichen Altersversorgung (bAV) zustande kommen kann. Damit besteht der Lohnanspruch der Mitarbeiter weiter und der Arbeitgeber muss letztendlich auf die vermeintlich umgewandelten Entgeltbestandteile Lohnsteuern und Sozialabgaben nachentrichten, und zwar unaufgefordert und unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer den Entgeltanspruch tatsächlich nachfordert. Hinzu kommen entsprechende Nachzahlungszinsen auf Lohn und Abgaben. Da es sich rechtlich bei der Beitragszahlung in die Entgeltumwandlung um eine Nettolohnvereinbarung handelt, muss der Arbeitgeber nicht nur auf den (gar nicht wirksam) umgewandelten Bruttolohn, sondern auf den aus dem umgewandelten Entgelt als Nettolohn hochzurechnenden fiktiven vollen Bruttolohn Lohnsteuern und Sozialabgaben zahlen.
Aktuar Schramm warnt die Arbeitgeber davor, das Problem durch Aussitzen lösen zu wollen. Abwarten, bis die Betriebsprüfer der Sozialversicherungsträger die Nichtabführung der Sozialversicherungsabgaben oder die des Finanzamtes die nicht abgeführte Lohnsteuer feststellen, hilft Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht weiter. Es ist davon auszugehen, dass die Prüfer Kontrollen durchführen und entsprechende Nachforderungen geltend machen werden. Sollte ein Unternehmen dadurch insolvent werden, würde eine Untätigkeit jetzt auch noch Insolvenzverschleppung bedeuten mit persönlicher Haftung der Geschäftsleiter, die dann auch noch ihr privates Vermögen nebst Altersversorgung verlieren könnten.
Um es deutlich zu sagen: Unwirksam sind natürlich nicht nur gekündigte Entgeltumwandlungen, sondern auch jeder noch weiter laufende Vertrag von Beginn an, es sei denn, die Abschlusskosten wären zumindest auf zehn Jahre verteilt, besser noch wäre eine Verteilung der Kosten auf die gesamte Vertragslaufzeit. Es geht auch nicht nur um einen Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers, und nicht nur um gekündigte Verträge mit zu geringem Rückkaufswert: gezillmerte Entgeltumwandlungen einschließlich solcher mit der ab 2008 üblichen Verteilung der Abschlusskosten auf fünf Jahre sind nach dem Urteil des LAG München von Beginn an schlechthin unwirksam und werden es nicht etwa erst dann, wenn der Rückkaufswert nach tatsächlicher Kündigung zu gering ist.
Schadensersatzansprüche
Rechtsanwalt Dr. Fiala geht davon aus, dass den Arbeitgebern entsprechende eigene Schadensersatzansprüche aus der Beraterhaftung gegenüber Vermittlern und Trägern der bAV zustehen, an denen sie sich schadlos halten können. Nach Einschätzung von Fiala könnte das jetzt rechtskräftige Münchner Urteil nun auch das Aus für einige Branchenversorgungswerke sowie für die aus Entgeltbestandteilen finanzierte Riesterrente bedeuten. Dem vorausgegangen war ein Rechtsstreit, bei dem das Landesarbeitsgericht München (LAG) Urteil vom 15.03.2007 (Az. 4 Sa 1152/06) der klageführenden Arbeitnehmerin die volle Lohnnachzahlung zugesprochen hatte. Der beklagte Arbeitgeber zog in letzter Minute die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht zurück. Damit hat das Urteil des Landesarbeitsgerichtes (LAG) München Rechtskraft.
In einem weiteren Rechtsstreit um die Zulässigkeit der Zillmerung bei der arbeitnehmerfinanzierten Betriebsrente, diesmal vor dem Landesarbeitsgericht Köln, wurde die Klage eines Arbeitnehmers abgewiesen (Urteil des LAG Köln vom 13.8.2008 Az.: 7 Sa 454/08). Diesmal hat der Arbeitnehmer gegen das Urteil Revision vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt eingelegt. Damit ist der Rechtsstreit um die Zillmerung bei der Entgeltumwandlung erneut bei höchster Instanz gelandet. Gemeinsam ist beiden Streitfällen, dass es sich um Entgeltumwandlungen mit gezillmerten Tarifen handelte, bei denen die Beiträge in Höhe des umgewandelten Entgelts etwa in den ersten beiden Jahren ausschließlich für Abschluss- und andere Kosten, einschließlich eventueller Risikokosten, verbraucht wurden.
Die wesentlichen Unterschiede der Fälle bestehen darin, dass beim Rechtsstreit vor dem LAG München die Arbeitnehmerin den Vertrag nach etwa drei Jahren gekündigt hatte. Beim Fall, den das LAG Köln zu entscheiden hatte, war der Vertrag dagegen nur beitragsfrei gestellt. Sonst wäre der Rückkaufswert hier ebenfalls deutlich geringer ausgefallen als aus umgewandeltem Entgelt einbezahlt wurde.-
Ralf E. Geiling,
Wirtschaftsjournalist, Mitglied der Landespressekonferenz NRW, akkreditiert beim Bundespresseamt
Was bedeutet Zillmerung?
Als „gezillmert“ werden die Betriebsrenten-Tarife bezeichnet, bei denen die Provisionszahlungen für die Vermittler zusammen mit den Verwaltungs- und Vertriebskosten der Versicherungen innerhalb der ersten fünf bis zehn Versicherungsjahre mit den Prämienzahlungen der Versicherungsnehmer (Arbeitnehmer) verrechnet werden. Neben den „vollends gezillmerten“ Tarifen (= vier Prozent der insgesamt einmal eingezahlten Beiträge, zum Beispiel 4000€ von 100000€) gibt es „leicht gezillmerte“ Tarife (= ein beliebiger Prozentsatz zwischen 0,1% und 3,9%), „ungezillmerte“ Tarife (= null Prozent) und „abschlusskostenfreie“ Tarife (= null Prozent). Lediglich „abschlusskostenfreie“ Tarife sind frei von sämtlichen verdeckten Abschlusskostenverrechnungen, die sonst auch neben der Zillmerung auftreten können. Die Beratung und die Auswahl eines geeigneten Angebots wird dem finanzkonzernunabhängigen bAV-Berater ausschließlich als Honorar und ohne Vermittlungsprovision vergütet. Nur Versicherungsagenturen, Ausschließlichkeits- und Mehrfachvermittler sowie Makler erhalten von Versicherungsgesellschaften und Betriebsrentenkassen Provisionen. Angesichts der Tatsache, dass Arbeitnehmer im Durchschnitt weniger als fünf Jahre in ein und demselben Unternehmen beschäftigt sind, können jene, die häufig den Arbeitsplatz wechseln (müssen), auf lange Sicht nur geringe Versorgungsanwartschaften für eine arbeitnehmerfinanzierte Betriebsrente (Entgeltumwandlung) ansammeln.
Darauf sollten Sie achten:
- Nicht überall, wo „ungezillmert“ drauf steht, ist auch „ungezillmert“ drin, warnen unabhängige Experten vor Mogelpackungen. Bei einem „echten“ ungezillmerten Tarif kann der Arbeitnehmer jährlich wählen, wie viel Entgelt er jeweils umwandeln will.
- Wer nicht sicher ist, ob er gezillmerte Tarife für die Entgeltumwandlung der Mitarbeiter abgeschlossen hat, sollte bestehende Verträge und die Dokumentation von einem finanzkonzernunabhängigen Berater bzw. von einem erfahrenen Juristen prüfen lassen. Im Zweifelsfall macht eine Vergleichsberechnung durch einen Sachverständigen für Versicherungsmathematik (Aktuar) eine „verdeckte“ Zillmerung deutlich.
- Wer einen arbeitnehmerfinanzierten bAV-Vertrag mit Zillmerung eingegangen ist, sollte mit seinem Finanzdienstleister so rasch wie möglich über eine Vertragsänderung verhandeln oder das Versorgungswerk von einem Spezialisten rückabwickeln lassen. In jedem Falle müssen die Lohnabrechnungen vor allem die monatlichen SV-Meldungen korrigiert werden. Dies entspricht gleichsam einer Selbstanzeige.
- Wer eine Betriebsrente für die Mitarbeiter neu einrichten will, sollte ganz auf Nummer sicher gehen und sich von seinem Anbieter ungezillmerte Tarife schriftlich zusichern lassen: Tarife bei denen die Abschlusskosten über die gesamte Vertragslaufzeit verteilt verrechnet werden.