Die Situation ist ebenso bekannt wie prekär: Die Babyboomer bereiten sich auf ihren Ruhestand vor. Damit fallen in den kommenden zehn bis zwölf Jahren rund 30 Prozent aller Erwerbstätigen in Deutschland als Arbeitskräfte aus. Vor allem für mittelständische Unternehmen kann sich diese Entwicklung zu einem massiven Problem auswachsen, zumal viele der jetzt 50- bis 65-Jährigen zu ihren Leistungsträgern zählen. Klar, dass angesichts der heute schon angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt und des sich abzeichnenden Umbruchs qualifizierte Mitarbeiter gefragter sind denn je. Hinzu kommt: Der Mangel an Fachkräftemangel gilt mittlerweile als Innovationshemmnis Nummer eins, wie eine aktuelle Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zeigt. Demnach sehen sich fast drei Viertel der Unternehmen durch ihre begrenzten personellen Kapazitäten ausgebremst. Eine ernüchternde Bilanz angesichts des weltweiten Wettbewerbsdrucks und sich beschleunigender Innovationszyklen.
Umso wichtiger ist es für Unternehmen gerade auch in der Kälte- und Klimabranche, ihre Neuen, so sie denn welche finden, so effektiv und effizient wie nur möglich an Bord zu holen. Und dafür zu sorgen, dass sie frühzeitig ihre volle Produktivität entfalten.
Damit dies gelingt, sollte die Wissensvermittlung nicht länger als eine Aneinanderreihung punktueller Ereignisse wie Workshops oder Seminare begriffen werden. Wesentlich zielführender ist es, die Probanden auf eine Onboarding-Reise mitzunehmen, auf der sie sich weitgehend eigenverantwortlich das Wissen aneignen, das sie für ihren neuen Job fit macht.
Moderierter Lernprozess
Dass die Transformation von Seminarwissen in praktisches Verhalten eher selten gelingt, ist sattsam bekannt. Folgt man den Ergebnissen einschlägiger Studien, setzen weniger als ein Fünftel aller Workshop-Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr dort erworbenes Wissen dauerhaft in die Praxis um. Die Mehrheit fällt relativ rasch wieder in alte Routinen zurück. Ganz abgesehen von jenen, die schlicht nichts umsetzen.
Ein in Stufen gegliederter, professionell aufgebauter und moderierter Lernprozess – mit Medienwechseln und regelmäßigen Feedback-Schleifen – kann die Einarbeitungszeit um ein Drittel oder mehr verkürzen. Einige US-amerikanische Unternehmen, allen voran Google, setzen diese Erkenntnis schon seit Jahren für das Onboarding neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um. Mit Erfolg.
Wie ein solcher Onboarding-Prozess aussehen kann, soll im Folgenden am Beispiel einer Lernreise für Vertriebsingenieure und Servicetechniker gezeigt werden. Die beschriebene Vorgehensweise gilt im Prinzip für fast jede Berufsgruppe – angepasst werden lediglich die Lerninhalte und gegebenenfalls ihre Gewichtung und/oder Darreichungsform.
Persönliche Onboarding Journey
Erster Arbeitstag: Der neue Mitarbeiter bekommt eine kurze Einführung und den Zugang zu seiner Online-Plattform, die ihn die kommenden Wochen und Monate durch seine ganz persönliche Onboarding Journey führt.
Stufe eins hat die Einführung ins Unternehmen zum Ziel. Sie ist wie alle folgenden Stufen modular aufgebaut. Jedes Modul endet mit einigen unterhaltsamen, Quiz-ähnlichen Aufgaben, die auf das erworbene Wissen zurückgreifen. Mit dem Erreichen einer bestimmten Punktzahl gilt die jeweilige Aufgabe als erledigt. Dies wird übersichtlich auf der Plattform angezeigt: Aufgabe abgeschlossen = grün, in Arbeit = gelb, noch nicht gestartet = grau.
Das erste Modul („Herzlich willkommen zu Ihrer Onboarding Journey“) bietet eine kurze Einführung in die Lernreise. Das zweite Modul macht den neuen Mitarbeiter mit den wichtigsten Eckdaten und der Historie seines neuen Arbeitgebers vertraut. Es folgt ein Modul, das die Unternehmenskultur und die Unternehmenswerte zum Inhalt hat.
Auf das vierte Modul „Management und Leadership“, in dem der Proband einiges zu den Führungskräften und zur Führungskultur erfährt, folgt Modul fünf mit dem Organigramm und den Ansprechpartnern für den neuen Mitarbeiter.
Das sechste und letzte Modul dieser Lernstufe gilt dem Austausch mit der dafür zuständigen Führungskraft, dem Mentor. Dieser Austausch bietet dem Neuen die Gelegenheit, weitere Fragen zu stellen, seinen bisherigen Eindruck von der Onboarding Journey zu reflektieren oder eventuell Verbesserungsvorschläge zu machen. Damit ist der erste Meilenstein erreicht.
Meilensteine auf dem Weg ins Unternehmen
Stufe zwei führt in die Welt der Kunden ein, denen der neue Arbeitgeber seine Produkte und Dienstleistungen anbietet. Es ist beispielsweise unterteilt in das Kundenportfolio mit wichtigen Eckdaten wie Mitarbeiterzahl, Umsatz und sonstigen Details, informiert über Key Accounts, Branchen und Industriezweige. Ein weiteres Modul widmet sich den wichtigsten Wettbewerbern mit Stärken und Schwächen gegenüber dem eigenen Unternehmen und sonstigen wettbewerbsrelevanten Informationen.
Das Produkt- und Dienstleistungsportfolio lernt der angehende Vertriebsingenieur/Servicetechniker in der dritten Lernstufe detailliert kennen. Inklusive technischer Grundlagen, Anwendungsgebieten und Besonderheiten. In Lernstufe vier erfährt er alles Wichtige zum Leistungsspektrum seines neuen Unternehmens im Service-Bereich – vom Service vor Ort über Reparaturen, Verbrauchsmaterialien, Ersatzteile, Applikationstrainings für Kunden bis gegebenenfalls hin zu Consulting-Angeboten.
Gegenstand der nächsten Lernstufe sind die Positionierung des Unternehmens im Markt und seine Marketing-Aktivitäten – online, offline, auf Messen, Events und in den Medien. Schließlich, in Stufe sechs, lernt der Neuling die wichtigen Unternehmensprozesse im Detail kennen – von IT-Systemen über interne Trainings bis hin zur Sales Administration und den Verkaufsprozessen.
Lernerfolg kommunizieren und festigen
Jede Lernstufe endet mit einem Gespräch mit der Führungskraft. Zusätzlich lassen sich zwischen den Lernstufen Workshops und Trainings einbauen – abhängig von den Inhalten, dem Bedarf des Unternehmens und der Zielperson oder Zielgruppe der Onboarding Journey. Diese Workshops und Trainings dienen zum einen der Festigung bereits gelernter Inhalte, zum anderen bereiten sie die nächste Lernstufe vor. Für jede Lernstufe ist ein Zeitfenster definiert, innerhalb dessen die Aufgaben zu bewältigen sind. Innerhalb dieses Zeitfensters legt der Proband eigenverantwortlich fest, wann er sich mit dem nächsten Thema beschäftigt. Dabei informiert ihn seine Plattform sehr übersichtlich über seine Lernfortschritte und Start- und Enddatum für die aktuelle Lernstufe. Sind alle Aufgaben und Module erledigt, gilt der jeweilige Meilenstein als erreicht.
Unterhaltsamer Mix
Der Erfolg der Onboarding Journey hängt nicht zuletzt davon ab, wie die Lerninhalte vermittelt werden. Es empfiehlt sich daher, mit einem unterhaltsamen Mix an Präsentationsformen die Spannung hoch zu halten und das Interesse immer wieder neu zu wecken. Im Blended Learning Format wechseln sich idealerweise gute erklärende Texte beispielsweise mit Bildern, Videoeinspielungen, Grafiken, kurzen PowerPoint Präsentationen, eLearning Modulen und sonstigen Darreichungsformen ab. Auch die Aufgaben, die zu jedem Modul gehören, sollten nicht nur einen hohen Erkenntniswert haben, sondern einen ebensolchen Unterhaltungswert.
Die Inhalte der Journey richten sich an den Rahmenbedingungen des Unternehmens und dem Informationsbedarf der neuen Mitarbeiter aus. Sie werden je nach Situation auf einzelne Personen und/oder Funktionen im Unternehmen oder auf ganze Gruppen zugeschnitten. Und selbstverständlich ist das Unternehmen gefordert, selbst Inhalte beizusteuern – entweder fertig produziert oder als Idee.
Plattform als virtuelles Nachschlagewerk
Da der Schwerpunkt auf Online-Trainings liegt, ist die Onboarding Journey zeit- und ortsunabhängig – und die Inhalte lassen sich bei Bedarf relativ schnell aktualisieren. Wichtig ist auch, dass die neuen Mitarbeiter ihre Lerninhalte jederzeit wieder einsehen können. Taucht beispielsweise in der täglichen Arbeit ein Thema auf, das in einem der Lernmodule behandelt wurde, dient die Onboarding Plattform als virtuelles Nachschlagewerk.
Für international tätige Unternehmen empfiehlt es sich, die Onboarding Plattform mehrsprachig anzubieten. Gegebenenfalls ist es sinnvoll, eigene Personalentwickler oder, so vorhanden, die unternehmenseigene Akademie mit der Plattform vertraut zu machen. So ist man beim Aufbereiten und Einstellen neuer Inhalte nicht zwingend auf externe Dienstleister angewiesen.
Natürlich sind Inhalte und Medien der Lernreise ganz nach Bedarf und Marktentwicklung austausch- und erweiterbar. So lassen sich begleitende Praxistrainings oder Transfer Coachings einbauen, die helfen, das Gelernte weiter zu vertiefen und zu verinnerlichen.
Bekanntlich ist die Weiterentwicklung eigener Mitarbeiter deutlich wirtschaftlicher als die Suche auf dem Arbeitsmarkt oder gar das gezielte Abwerben bei der Konkurrenz. So lässt sich die Onboarding Plattform – in modifizierter Form – auch für die Höherqualifizierung vorhandener Mitarbeiter einsetzen. Beispielsweise um einen Mechatroniker zum Service-Ingenieur weiter zu entwickeln.
Der psychologische Effekt
Ein durchaus wesentlicher Aspekt ist bislang unerwähnt: der psychologische Effekt. Ein neuer Mitarbeiter, den sein neues Unternehmen auf eine solch hoch professionelle Onboarding-Reise schickt, lernt ganz nebenbei den transparenten Leistungsgedanken kennen, der dieser Reise zugrunde liegt. Und er schließt daraus automatisch auf die Professionalität des ganzen Unternehmens. Das motiviert dazu, möglichst rasch ein ähnlich hohes Professionalitäts-Niveau anzustreben.
Die Erfahrungen des Raisch Instituts zeigen, dass diese Art der Wissensvermittlung signifikant bessere und nachhaltigere Ergebnisse bringt. Damit spart eine moderierte Lernreise Ressourcen und Kosten. Sie sorgt dafür, dass die jeweiligen Mitarbeiter schneller ihre volle Produktivität erreichen. Und das wiederum stärkt die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Ein entscheidender Erfolgsfaktor allerdings ist und bleibt die aktive Einbindung der Führungskräfte. Sie müssen den Lernenden als Coaching Partner zur Seite stehen und sie unterstützen.