Aktuell fehlen in fast allen Berufen Arbeitskräfte – branchen- und funktionsübergreifend. Alle Unternehmen klagen gefühlt: Hilfe, wir haben immer mehr Schwierigkeiten, die benötigten Fach- und Führungskräfte zu finden. Dies ist nachvollziehbar, denn die Angehörigen der Baby-Boomer-Generation scheiden zunehmend aus dem Erwerbsleben aus. Konkret bedeutet dies: Aufgrund der geringen Zahl von Nachwuchskräften werden – ohne eine wirksame Zuwanderungsstrategie – in den nächsten Jahren fast doppelt so viele Menschen den Arbeitsmarkt verlassen wie neue hinzukommen. Deshalb müssen sich die Personalverantwortlichen in den Unternehmen auf eine Reihe neuer Herausforderungen einstellen. Nachfolgend einige Tipps, wie Sie diese meistern.
1. Je passender eine Stelle besetzt wird, umso geringer ist der Führungsaufwand. Und umgekehrt.
Unternehmen sollten sich bewusst machen:
Bisher war eine effektive Personalauswahl der „Plan A“ der Unternehmen, und im Verlauf der Jahre haben sich in ihnen ausgeklügelte Tests und Systeme etabliert, die sich bei der Mitarbeiter-Auswahl bewährt haben. Diese Tools verlieren an Relevanz, wenn nur noch ein oder zwei Bewerber vor der Tür stehen. Dann müssen die Unternehmen mit höheren Aufwänden für die Personalentwicklung und -führung rechnen.
Stellen Sie sich auf eine Situation, in der ein höherer Führungsaufwand erforderlich ist, ein und unterstützen Sie Ihre Führungskräfte beim Weiterentwickeln ihrer diesbezüglichen Kompetenzen.
2. Sich vom Wunschbild der „eierlegenden Wollmilchsau“
verabschieden
Wenn Unternehmen die Stellenanforderungen für einen neuen Mitarbeitenden formulieren, bringen sie meist ihre Wunsch- oder Traumvorstellung von diesem zu Papier. Und diese spiegelt sich nicht nur in ihren Stellenanzeigen wider; mit entsprechenden Erwartungen gehen sie auch in die Vorstellungs- bzw. Personalauswahlgespräche. Das ist in einer Arbeitsmarktsituation, in der sich oft, wenn überhaupt, nur zwei, drei Kandidaten auf eine Stelle bewerben, kontraproduktiv, denn dann befindet sich unter ihnen selten die „eierlegende Wollmilchsau“, von der sie träumen.
Unterscheiden Sie deshalb beim Formulieren der Stellenanforderungen klar zwischen Muss-Kriterien, also Kompetenzen und Eigenschaften, die unverhandelbar sind, sowie Soll- und Nice-to-have-Kriterien. Und überlegen Sie sich vor den Auswahlgesprächen unter welchen Voraussetzungen ein Bewerber, der nicht alle Anforderungen erfüllt, eventuell doch ein interessanter Mitarbeiter sein könnte. Zum Beispiel, wenn er noch eine Schulung besucht? Oder wenn Sie die Arbeitsprozesse leicht umgestalten? Oder wenn Sie gewisse Teilaufgaben Kollegen oder externen Dienstleistern übertragen?
3. Als potenzieller Arbeitgeber sichtbar und attraktiv sein
In der Vergangenheit mussten sich Interessenten für eine Stelle beim Arbeitgeber bewerben, inzwischen ist es oft umgekehrt: Die Unternehmen müssen sich bei den Interessenten bewerben.
Das heißt, sie müssen dafür sorgen, dass sie als potenziell attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen werden. Sei es, indem sie sich in (Hoch-)Schulen dem potenziellen Nachwuchs präsentieren. Sei es, indem sie ihre Firmenwagen mit einer Aufschrift wie „Werde ein Teil unseres Teams! Tel.: ….“ versehen. Sei es, indem sie sich, abhängig von der Zielgruppe in den verschiedenen Social Media präsentieren und für positive Bewertungen auf solchen Portalen wie Kununu sorgen. Es lohnt sich, in eine positive Außendarstellung zu investieren, die keine reine Kosmetik, sondern authentisch ist, und deshalb auch auf die richtigen Leute attraktiv wirkt.
Bei der Außendarstellung sollten Sie beachten: Diese ist kein Selbstzweck. Sie wollen vielmehr Personen ansprechen,
Deshalb ist es zum Beispiel für Handwerksbetriebe und regional tätige Dienstleister, die Unterstützer suchen, oft zielführender, ab und an in einem Portal wie nebenan.de präsent zu sein als auf einem Businessportal wie linkedIn.de. Oder mal in einem lokalen Anzeigenblatt, das jeder Haushalt erhält, erwähnt zu werden als in solchen Magazinen wie der Zeit oder dem Spiegel.
4. Außer dem Plan A auch einen Plan B und C haben
In naher Zukunft gibt es keine Garantie dafür, dass Unternehmen offene Stellen schnell und adäquat besetzen können. Dieser Prozess kann etliche Monate dauern und im Extremfall bleibt die Stelle unbesetzt.
Dauert eine Neubesetzung lange, müssen in der Regel vorhandene Mitarbeitende die nicht wahrgenommenen Aufgaben mitübernehmen. Das kann, wenn diese Situation andauert, zu überlastungsbedingten Ausfällen und schlimmstenfalls sogar Kündigungen führen, die weitere Löcher in die Personaldecke reißen.
Deshalb sollten Sie, wenn Stellen in Ihrem Betrieb vakant sind, stets auch einen Plan B und C haben. Sie sollten sich also mögliche Interimslösungen überlegen, für den Fall, dass die Stelle längere Zeit unbesetzt bleibt. Eine solche Interimslösung kann sein, dass Ihr Unternehmen temporär gewisse Leistungen für Kunden nicht mehr erbringt. Oder dass Sie temporär externe Dienstleister an Bord holen oder gewisse Teilaufgaben outsourcen. Oder dass Sie generell stärker mit anderen Unternehmen kooperieren, um Engpässe aufzufangen und Spitzen abzufedern.
5. Bei der Personalauswahl schneller und flexibler werden
Wer Menschen für sich gewinnen möchte, muss ihnen zeigen, dass er sich für sie interessiert – durch sein Verhalten. Das tun viele Unternehmen zu wenig. Deshalb entscheiden sich nicht selten Bewerber, die Unternehmen eigentlich als Mitstreiter gewinnen könnten, letztlich für andere Arbeitgeber.
Diesbezüglich sollten viele Personalverantwortliche ihr Verhalten überdenken. So sollte es zum Beispiel für sie selbstverständlich sein, dass sie sich, wenn sie einen interessanten Kandidaten an der Angel haben, der noch für ein anderes Unternehmen arbeitet, mit diesem auch mal am Wochenende oder in den späten Abendstunden treffen. Oder dass sie sich sogar ins Auto setzen und zu ihm fahren oder sich mit ihm auf halbem Weg treffen. Außerdem sollten sie, wenn der Personalauswahl- oder -einstellungsprozess länger dauert, den heißen Kandidaten auch mal anrufen oder mit ihm einen Video-Chat führen, um … Denn eines müssen Sie sich als Unternehmensführer bzw. Personalverantwortlicher in der aktuellen Arbeitsmarktsituation stets vor Augen führen: Die wirklich guten Kandidaten haben fast immer mehrere, wenn nicht sogar viele Optionen. Entsprechend stark müssen Sie um ihre Gunst sowie ihr Ja-Wort kämpfen.
6. Die Personalpolitik den Bedürfnissen der Generation Z anpassen
Neulich sagte ein schon ergrauter mittelständischer Unternehmer bei einem Unternehmertreffen halb ernst und halb ironisch: „Wie schön war unser Leben früher. Auf jede Stellenausschreibung meldeten sich zig Bewerber und wir konnten sie bei uns antanzen lassen und uns den uns passenden aussuchen. Und wenn es um die Arbeitsverträge ging, konnten wir ihnen die Bedingungen diktieren. Und wenn sie dann bei uns Karriere machen wollten, mussten sie sich erst mal bewähren bzw. nach unserer Pfeife tanzen. Dann wurden sie befördert mit der Erwartung, dass sie uns hierfür anschließend ihre Dankbarkeit – auch Loyalität genannt – beweisen.“
Diese Zeiten sind vorbei, worüber viele Manager und Unternehmer klagen. Doch sehen das die Angehörigen der Generation Z, also die nach 1995 geborenen jungen Männer und Frauen, die zunehmend in die Betriebe drängen, ebenso? Vermutlich nicht! Sie begrüßen die größeren Wahl- und Einflussmöglichkeiten, die sie haben.
Ein Vorwurf, der den Angehörigen der Generation Z oft gemacht wird, ist, sie seien weniger leistungsbereit. Doch ist das wirklich so? Ist es nicht eher so, dass insbesondere viele Klein- und Mittelbetriebe, weil sich weniger Personen bei ihnen bewerben, die Messlatte bei der Personalauswahl nicht mehr so hoch wie früher legen können?
Unser Eindruck ist: In der Generation Z gibt es, prozentual gesehen etwa ebenso viele leistungsbereite Stellensucher wie früher. Weil deren Gesamtzahl aber viel niedriger ist, müssen die Betriebe bei den Anforderungen, die sie an Mitarbeiter stellen, heute schon oft große Zugeständnisse machen. Deshalb sind sie im Betriebsalltag verstärkt mit Mitarbeitern konfrontiert, die unter anderem eine geringere Eigenmotivation haben und deshalb auch mehr Führung brauchen.
Doch auch die Bedürfnisse der leistungsstarken und -bereiten jungen Mitarbeitenden haben sich geändert. Sie wollen nicht, dass die Erwerbsarbeit ihr gesamtes Leben dominiert. Die sogenannte „Work-Life-Balance“ ist ihnen wichtiger als ihren Eltern. Und weil sie mehr Joboptionen haben, fordern sie solche Dinge wie geregelte Arbeitszeiten, Teilzeitarbeit, die Möglichkeit, mobil zu arbeiten oder mal eine längere Auszeit zu nehmen, auch aktiver ein. Dasselbe gilt für die Chancen, beruflich voranzukommen. Die jungen Leute warten seltener als ihre Eltern darauf, dass ihnen diese gewährt werden, sie fordern diese aktiv ein. Und wenn sie diese nicht bekommen? Dann wechseln sie schneller den Arbeitgeber.
Auf diese veränderten Rahmenbedingungen müssen sich die Unternehmen einstellen. Sie müssen sich fragen, inwieweit ihre Personalpolitik insgesamt nach den Erwartungen ihrer (künftigen) Mitarbeiter entspricht – ähnlich wie sie dies bei ihren Produkten tun, wenn sich die Bedürfnisse ihrer Kunden gewandelt haben.
7. Die menschliche Arbeitskraft wird teurer, also sollte man sie effektiver nutzen
„Je knapper ein Gut ist, desto wertvoller und teurer wird es.“ Diese betriebswirtschaftliche Binsenweisheit haben viele Unternehmer in den letzten Jahren schmerzhaft erfahren. Das gilt auch für die menschliche Arbeitskraft. Sie wird in den kommenden Jahren aufgrund ihrer demografisch bedingten Knappheit immer teurer werden. Kalkulieren Sie dies bei Ihren betriebswirtschaftlichen Planungen ein.
Wenn ein Gut knapp und somit teuer ist, sollte man mit ihm sparsam oder – neudeutsch – „ressourcen-schonend“ umgehen. Durchforsten Sie diesbezüglich Ihre Arbeitsprozesse und eruieren Sie, welche Einsparmöglichkeiten im Bereich der Human Ressource Ihnen beispielsweise die Digitalisierung bietet.
8. Die benötigten Arbeitskräfte selbst ausbilden und entwickeln
Eine Alternative zum Rekrutieren von Fach- und Führungskräften vom Arbeitsmarkt ist es, diese selbst auszubilden bzw. zu entwickeln. Das ist mit Aufwänden verbunden, kann jedoch mittel- bis langfristig ein wichtiger Beitrag zur Problemlösung sein. Denn wenn Sie zum Beispiel Schulabgänger ausbilden, werden diese in Ihrem Betrieb beruflich sozialisiert. Das heißt, sie verinnerlichen, sofern sie sich mit ihnen identifizieren, Ihre Werte, also das, was Ihnen wichtig ist. Zudem entwickeln sie eine emotionale Beziehung zu Ihrem Unternehmen. Entsprechend leicht fällt es Ihnen, sie nach ihrer Ausbildung an Ihr Unternehmen zu binden – zumindest, wenn Sie ihnen auch eine mittel- bis langfristige Perspektive aufzeigen.
Und noch ein Hinweis: Wie oft Sie eine Stelle neu besetzen müssen, hängt auch von der Verweildauer der Mitarbeitenden in Ihrem Betrieb ab. Wenn Sie regelmäßig Mitarbeiter verlieren, die Sie eigentlich gerne behalten möchten, aus Gründen, die Sie nicht kennen, dann liegt vermutlich etwas mit Ihrer Unternehmenskultur bzw. Personalpolitik und -führung im Argen. Also sollten Sie diese überdenken. ■