Die Antwort ist aus technischer und rechtlicher Sicht ein klares Nein. Aber es gibt durchaus Alternativen, um kompromisslose Sicherheit und Wirtschaftlichkeit in Übereinstimmung zu bringen.
Vom Maschinen- bis zum Automobilbau wurden noch vor Jahren sicherheitsrelevante Funktionen in der Regel mechanisch abgesichert. Der Endschalter zusätzlich zur Lichtschranke an einer Maschinentür ist ein Beispiel dafür. Durch zunehmende Prozess-automation und Digitalisierung werden Menschenleben heute jedoch ganz selbstverständlich elektronischen Steuerungen mit vielen Sensoren und Aktoren anvertraut. Das Cockpit eines Flugzeugs macht das besonders deutlich. Ein nächster Schritt sollen autonom fahrende Autos sein.
Grundlage Risikobewertung
Um elektronische Steuer- und Regelkreise gegen Funktionsausfall abzusichern, sind wesentliche Qualitätsrichtlinien entwickelt worden. International hat sich die IEC 61508 durchgesetzt, die auch in Europa übernommen wurde (DIN EN 61508) und als Stand der Technik gilt. Ziel der Norm ist es in erster Linie, den Ausfall sicherheitsrelevanter Bauteile zu vermeiden. Da ein Restrisiko jedoch nie auszuschließen ist, wird außerdem die Ausfallwahrscheinlichkeit von Bauteilen eingeschätzt und ihre Folgen für die Funktion des Gesamtsystems bewertet. Sollte beispielsweise ein sicherheitsrelevanter Sensor ausfallen, wird als Reaktion darauf ein sicherer Anlagenzustand definiert, in den das System wechseln muss, damit keine Gefahr für Leib und Leben, die Umwelt und nachrangig auch für Sachwerte entsteht.
Lässt sich dieses Prinzip auch auf Differenzdruckanlagen anwenden, die im Brandfall Flucht- und Rettungswege in einem Gebäude rauchfrei halten?
Dynamisches System versus statischer Funktionserhalt
Ob SIL-zertifizierte Produkte redundante Anlagentechnik ersetzen können, ist zum einen aus technischer und zum anderen aus normativer Sicht zu klären. Für die technische Beurteilung ist es wichtig, die Funktion einer Differenzdruckanlage – oft auch Überdruck- oder Rauchdruckanlage genannt – kurz zu untersuchen.
Detektiert eine Brandmeldeanlage ein Feuer, werden die entsprechenden Brandschutzklappen angesteuert, um den Gefahrenbereich abzuschotten, und es wird der Alarm ausgelöst. Gleichzeitig erzeugt die Differenzdruckanlage im Sicherheitstreppenraum einen Überdruck, damit aus dem Brandraum kein Rauch ins Treppenhaus strömt, wenn flüchtende Personen die Türen öffnen. Dazu führen Ventilatoren dem Treppenhaus von außen Luft zu. So bleibt der Weg über alle Stockwerke hinweg passierbar – sowohl für die Evakuierung als auch den Feuerwehrangriff.
Damit die Personen – selbst Kinder – die Fluchttüren gegen den Überdruck im Treppenraum leicht öffnen können, darf allerdings die Druckdifferenz maximal 50 Pa betragen bzw. es dürfen auf der Tür maximal 100 N lasten. So schreiben es sowohl die DIN EN 12101-6 als auch die Muster-Hochhaus-Richtlinie (MHHR, Fassung 18. April 2008) vor. Definiert werden hier außerdem Strömungsgeschwindigkeiten: Die Luft muss an einer geöffneten Fluchttür aus dem Sicherheitstreppenraum in Richtung Brandraum mit mindestens 0,75 m/s strömen (bzw. mit 2,0 m/s, wenn im weiteren Brandverlauf der Rauchdruck steigt).
Diese Vorgaben hat die Differenzdruckanlage trotz sich ständig verändernder Druckverhältnisse im Treppenraum zu erfüllen. Denn je nachdem, wie viele Etagen- sowie Eingangstüren geöffnet werden und wie groß der jeweilige Öffnungswinkel ist, entweicht mehr oder weniger Luft aus dem Treppenraum in die Etagen. Also muss das zugeführte Luftvolumen dynamisch angepasst werden. Die DIN EN 12101-6 gibt eine maximale Reaktionszeit von 3 s vor, um 90 Prozent der Sollluftmenge wiederherzustellen.
Bei elektronisch gesteuerten Differenzdruckanlagen misst hierzu ein Drucksensor im Sicherheitstreppenraum den Differenzdruck. Entsprechend des Messwertes wird ein Ventilator mit EC-Motor oder AC-Motor mit Frequenzumformer drehzahlgeregelt, um situationsabhängig das jeweils benötigte Luftvolumen in den Sicherheitstreppenraum zu fördern.
Was würde jedoch in einem Brandfall passieren, wenn der Drucksensor, der Ventilator oder die Steuerung ausfällt? Die Folge wäre das Totalversagen des Sicherungssystems. Aus diesem Grund schreibt die MHHR vor: „Ist nur ein innenliegender Sicherheitstreppenraum vorhanden, müssen bei Ausfall der für die Aufrechterhaltung des Überdrucks erforderlichen Geräte betriebsbereite Ersatzgeräte deren Funktion übernehmen“ (Abs. 6.2.1).
Redundanz ist Pflicht
Dem folgend verlangt somit das Baurecht der Bundesländer die redundante Ausführung einer Differenzdruckanlage. An der zuvor beschriebenen Funktionsanalyse wird deutlich, warum SIL-zertifizierte Bauteile oder Steuerungen die Verpflichtung einer redundanten Ausführung nicht aufheben können: Bei einer Differenzdruckanlage lässt sich kein sicherer Anlagenzustand definieren, in den das System bei dem Ausfall von Komponenten wechseln kann! Es muss gewährleistet sein, dass stets das passende Luftvolumen gefördert wird. Ein statischer Funktionserhalt einer Differenzdruckanlage nach dem SIL-Prinzip ist nicht möglich. Daher ist eine Bauteilzertifizierung nach SIL de facto wertlos.
Redundant ja, aber …
Die vom Gesetzgeber geforderte Redundanz einer Überdruckanlage lässt sich dennoch wirtschaftlich optimieren. Zum Beispiel, indem nur die Komponenten der dynamisch arbeitenden Differenzdruckanlage zweifach installiert werden. Funktionen des technischen Brandschutzes, für die ein sicherer Anlagenzustand bei einem Bauteilausfall zu definieren ist, können jedoch einfach ausgeführt werden.
Das lässt sich realisieren, indem beispielsweise der Steuerschrank einer Überdruckanlage nur die statischen Funktionen abdeckt. Dazu zählt unter anderem die Ansteuerung von Brandschutzklappen, die der Abschottung dienen. Im Brandfall gibt es hier nur einen sicheren Zustand: Die Klappe muss geschlossen sein. Kommt hierzu kein Signal vom Steuerschrank, weil dieser ausgefallen ist, lässt sich die Schutzfunktion über kompensierende Sicherungsmaßnahmen direkt an der Klappe absichern. Werden also die für den Funktionserhalt maßgeblichen logischen und technischen Bauteile (Regel- und Antriebseinheit plus Sensorik) von den statischen Funktionsbauteilen (Schaltschrank) separiert, so lässt sich die redundante Ausführung auf genau die Bauteile beschränken, die bei einem Ausfall die sichere Funktion der Anlage verhindern würden.
Bei einer solchen Anlagenkonzeption ist zum Beispiel keine Doppelung der Schaltschränke erforderlich. Und da allein der Schaltschrank einer Differenzdruckanlage bis zu 40 Prozent der Kosten ausmachen kann, ergibt sich daraus ein großes Einsparungspotential.
Technisch und rechtlich sichere Lösung
Ein Lösungskonzept, das Systemair verfolgt, liegt in der redundanten Ausführung der Sensorik im Sicherheitstreppenraum sowie der Ventilatoren einschließlich der dazugehörigen Regel- und Antriebseinheiten. Diese Sensoren und Aktoren bilden über funktionserhaltende Leitungen einen eigenständigen MSR-Kreis. Selbst wenn Bauteile oder sogar der gesamte Schaltschrank ausfallen sollte, bliebe so die Funktion der Differenzdruckanlage voll erhalten. Das gilt auch bei dem Szenario, dass ein Drucksensor oder eine Ventilatoreinheit ausfällt.
Die Beschränkung der Redundanz auf Anlagenteile, für die ein Versagen ausgeschlossen sein muss, entspricht den Vorgaben des Gesetzgebers gemäß den Hochhaus-Richtlinien der Bundesländer. Gleichzeitig lassen sich dadurch unter sicherheitstechnischen und rechtlichen Gesichtspunkten machbare Einsparungspotenziale ausschöpfen.
Ventilatoren-Belastungstest räumt Zweifel aus
Systemair setzt für elektronisch gesteuerte Differenzdruckanlagen Ventilatoren mit EC-Motoren ein, bei höheren Förderleistungen AC-Motoren mit Frequenzumformer. Die Regelung ist dabei baulicher Teil des Antriebs. Bis dato galt unter Fachleuten die Vermutung, dass geregelte Motoren im Brandfall erheblich früher ausfallen als ungeregelte Motoren. Die Vermutung stützte sich auf den zusätzlichen Wärmeeintrag, den die Regelung in den Motor einbringt.
Bei der obligatorischen Prüfung von Brandgasventilatoren nach CEN / TC 191 stellte Systemair diese Theorie auf den Prüfstand. Nachdem der Ventilator vom Typ AXR 710-10 im ungeregelten Betrieb
die F 400-Prüfung erfolgreich bestanden hatte (120 min Funktionserhalt bei 400 °C Umgebungstemperatur), wurde im direkten Anschluss der Ventilator drehzahlgeregelt weiterbetrieben. Als nach weiteren 70 min nach wie vor keine Funktionsstörungen auftraten, wurde der Test beendet.
Damit hat Systemair den Nachweis erbracht, dass durch das Design seiner Brandgas-Ventilatoren geregelte Motoren ebenso zuverlässig sind wie ungeregelte.
Ferner wurden bei diesem Test unter anderem die Motortemperaturen permanent protokolliert.
Die Ergebnisse und Kenntnisgewinne fließen in weitere Entwicklungen und Optimierungen ein.
Fluchttüren – Dreh- und Angelpunkt für die Regelung des Luftvolumens
Wie viel Luftvolumen die Ventilatoren in den Sicherheitstreppenraum transportieren müssen, hängt maßgeblich von der Anzahl der geöffneten Türen, der Türgröße und dem Öffnungswinkel ab. Diese Parameter ändern sich in einer Fluchtsituation jede Sekunde und verändern die Leckage im Treppenraum.
Öffnungsfläche der Tür bis zur Druckgrenze
• Volumenstrom (V˙ )
• Obsoluter Druck (p)
• Druckdifferenz Tür (∆pV TR)
• Luftdichte (ρ = m x V-1)
• Fläche (A)
Beispielrechnung:
• Je nach Türgröße ist bei einer Öffnungsbreite von ca. 15 bis 20 cm die erforderliche Durchströmung von 4 m³/s erreicht.
Die Regelbarkeit der Rauchdruckanlage muss über den im Brandschutzkonzept definierten Zeitraum erhalten bleiben.
Um wie viel Pascal der Luftdruck im Treppenraum höher sein darf als auf der Tür-abgewandten Seite, wird auch von der Türgröße bestimmt. Bei großen Türflächen ist die Obergrenze von 100 N als Türöffnungskraft schon bei Druckdifferenzen deutlich < 50 Pa erreicht.
Standard-Tür: 2 m hoch, 1,25 m breit
• Türfläche: 2,5 m²
• Manueller Kraftaufwand zur Türöffnung mit Schließer im Normalbetrieb: 35 N
• Maximal zulässiger Kraftaufwand zur Türöffnung im Brandfall: 100 N
➔ Maximal möglicher Differenzdruck auf Türfläche durch RDA im Brandfall: (100 N - 35 N) / 2,5 m² = 26 Pa
➔ Erforderliches Luftvolumen bei 1 m/s Strömungsgeschwindigkeit: 1 m/s x 2,5 m² = 2,5 m³/s
Komfort-Tür: 2,5 m hoch, 1,25 m breit
• Türfläche: 3,125 m²
• Manueller Kraftaufwand zur Türöffnung mit Schließer im Normalbetrieb: 35 N
• Maximal zulässiger Kraftaufwand zur Türöffnung im Brandfall: 100 N
➔ Maximal möglicher Differenzdruck auf Türfläche durch RDA im Brandfall: (100 N - 35 N) / 3,125 m² = 20,8 Pa
➔ Erforderliches Luftvolumen bei 1 m/s Strömungsgeschwindigkeit: 1 m/s x 3,125 m² = 3,125 m³/s