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Datenmangel erschwert Aussagen über Unfallhäufigkeiten

Risikoabschätzung für Ammoniak als Kältemittel

NH3 ist unübertroffen als Kältemittel: Es hat exzellente thermodynamische Eigenschaften und viele ökologische Vorteile. Es wird auch in Zukunft als Kältemittel Verwendung finden, denn die Gesellschaft kann sich einen Verzicht aus verschiedenen Gründen nicht leisten. Das hier diskutierte Ammoniak ist wasserfrei und wird ausschließlich als Kältemittel genutzt. Andere Anwendungen in der Industrie oder in der Landwirtschaft werden hier nicht betrachtet.

Unter den üblichen Kältemitteln hat NH3 als einziges einen strengen, charakteristischen Geruch. Wenn der Name nur genannt wird, gibt es oft schon negative Reaktionen: Der Stoff sei gefährlich, toxisch, explosiv und hätte einen fürchterlichen Geruch. Gerade der Geruch ist jedoch ein großer Vorteil, weil die kleinste Undichtigkeit sofort entdeckt und korrigiert werden kann. Viele andere Gase stellen aufgrund ihrer Geruchlosigkeit ein großes Risiko dar.

Ammoniakunfälle

Die Literatur über Ammoniak-Kälteanlagen datiert zum Teil mehr als 100 Jahre zurück, dennoch sind nur wenige verwertbare Fakten darin enthalten. Es gibt Experten mit einem großen Erfahrungsschatz, aber nur wenige nehmen an den Treffen von behördlichen Sicherheitsexperten, Normungsgremien und Versicherungsgesellschaften teil.

Es wäre wünschenswert, wenn wir eine umfassende Dokumentation über die Anzahl von Ammoniaksystemen und die aufgetretenen Freisetzungen hätten. Analysen, die auf existierenden Fallgeschichten basieren, zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit von Freisetzungen in Verbindung mit Sach- oder Personenschäden gering ist. Wie immer ist es auch hier schwierig, eine größere Zahl von Daten zu erhalten. Es gibt wohl einige Berichte über Ammoniak-Freisetzungen und Unfälle in der chemischen Industrie, in der Landwirtschaft und in Kälteanlagen. Doch nur in Ausnahmefällen sind die Verfasser erfahrene Experten für Ammoniak und so ermöglichen die Darstellungen nur selten eine sinnvolle Abschätzung von Risiken.

Tödliche Unfälle mit Ammoniak

Vorfälle infolge von Ammoniak-Leckagen gibt es bezogen auf die große Anzahl von existierenden Systemen nur wenige. Tödliche Unfälle in verschiedenen Ländern sind hier in einer Tabelle zusammengefasst. Die Zahlen sind hinsichtlich ihrer Quellen und Hintergründe auf unterschiedliche Weise geprüft, sie können dennoch geringfügige Fehler enthalten. Berücksichtigt sind ausschließlich tödliche Unfälle mit Kälteanlagen und keine anderen Anwendungen für NH3.

Die Daten ergeben eine jährliche Todesrate (ADR) von < 2 pro 109 Einwohner und Jahr. Eine solche Zahl ist normalerweise nicht erwähnenswert, was die folgende Vergleichswerte aufzeigen: Die ADR für Blitz­unfälle in den USA ist 32 pro 109 und Jahr. Für den Verkehr in Schweden liegt sie bei 5 pro 105 und für das Berufsleben in Schweden bei 5 pro 106 Einwohner und Jahr. Die Grafik zu den Todeswahrscheinlichkeiten bringt diese Zahlen in Zusammenhang.

In einem Report von Prof. Berghmans 1994 [1] sind Unfälle in Verbindung mit Ammoniak nach zugänglichen Informationen aus Japan von 1951 bis 1990 ausgewertet worden. Ergebnis ist eine vergleichbare Todesrate von 2,5 Personen pro 109 Einwohner und Jahr. Seit dieser Zeit hat sich zudem die Qualität der Industriekälteanlagen verbessert.

Frankreich hat vor 40 Jahren nationale Regeln für neue Ammoniak-Systeme eingeführt. Seitdem ist es extrem schwierig, neue Ammoniak-Kälteanlagen zu bauen. Dahinter stehen kommerzielle Kräfte, um synthetische anstelle von natürlichen Kältemitteln zu vermarkten. Statistiken wurden vom BARPI [2] für Ammoniak auf negative und ignorante Weise publiziert. Viele gelis­tete Unfälle stehen nicht im Zusammenhang mit dem Kältemittel NH3. Der letzte bekannte tödliche Unfall in Verbindung mit einer Ammoniak-Anlage war in Lyon 1968 in einem Kühlhaus, bei dem zwei Personen in einem Fahrstuhl zum Maschinenraum eingeschlossen wurden.

Verletzungen und Belästigungen

Studien über Unfälle infolge von Ammo­niakaustritten zeigen, dass niemand außerhalb des System-Nahbereichs verletzt wurde. Personen, die verletzt oder infolge getötet wurden, waren dem Austrittspunkt nahe und haben in der Regel am System gearbeitet. In der Gefahrenzone von wenigen Metern befindet sich nur das Bedienungs- und Wartungspersonal. Verletzungen können leicht durch Schutzanzüge (keine nackten Arme oder Beine im Sommer), Handschuhe und Gesichtsmasken mit Atemfilter vermieden werden.

Die Grafik über den Einfluss von Ammoniak abhängig vom Entfernungsgrad zeigt, dass tödliche Unfälle und Unfälle, die medizinische Behandlung erfordern, innerhalb weniger Meter von der Freisetzung erfolgt sind. Bei Distanzen bis 200 m ist der Geruch deutlich. Eine Distanz von 1500 m ist der Sicherheitsabstand in Bezug auf große, industrielle Freisetzungen, wie sie bei Havarien von Vorratstanks und Eisenbahnwaggons auftreten können.

Eine Studie von Bird und Germain (1996) analysierte eine große Zahl von Unfällen und ordnete diese in Kategorien ein. Demnach kommen auf einen Unfall mit ernsthaften oder schweren Verletzungen zehn Unfälle mit leichten Verletzungen, 30 Unfälle mit Sachschäden und 600 Zwischenfälle ohne Schäden. Der Zusammenhang ist in der Pyramidengrafik zur Unfall-Kennzahlstudie dargestellt.

Wird dieser allgemeine Zusammenhang auf Unfälle mit Ammoniak-Austritten übertragen, könnten sich Zuordnungen zu Pyramidenstufen folgendermaßen ergeben:

  • tödlich bei den meisten Unfällen ist nur eine Person betroffen
  • akute medizinische Behandlung mehrerer schwerer Verletzungen Kurieren ist nicht möglich, z.B. totaler Augenverlust
  • medizinische Behandlung erforderlich das Opfer kann aber gesunden
  • Belästigung abhängig von der persönlichen Erfahrung mit Ammoniak. Personen mit Erfahrung werden weggehen, während andere in Panik ausbrechen. Einige werden nach einer medizinischen Untersuchung oder Behandlung fragen. Keine Zerstörung oder Verletzung
  • Wahrnehmung der Geruch ist offen­­sichtlich und kann als Ammoniak identifiziert werden. Es könnte Hilfe herbeigerufen werden, keine Krankenhausbesuche
  • unbeeinträchtigt Personen nehmen den Unfall oder eine Freisetzung nicht wahr

Fehlendes Wissen führt bei den meisten Menschen zu einer negativen Einstellung bezüglich Ammoniak. Diese Unkenntnis ist leider auch in der Kälteindustrie verbreitet, da 95 % der Beschäftigten mit anderen technischen Lösungen arbeiten. Viele Behörden und Planer sind nicht vertraut mit den Vorschriften für Ammoniak und halten es für eine gefährliche Alternative. Die Europäi­sche Druckgeräterichtlinie, die Maschinendirektive und entsprechende Vorschriften in den jeweiligen Ländern sowie moderne Sicherheitsstandards ermöglichen aber einen sicheren und problemlosen Bau und Betrieb von Ammoniaksystemen.

Zur Toxizität und Entflammbarkeit

NH wird manchmal als Gift bezeichnet. Aber bekanntlich macht erst die Dosis das Gift. Eine moderne Definition besagt, dass eine Substanz giftig ist, wenn sie selbst in sehr kleinen Mengen einen gefährlichen oder tödlichen Einfluss auf lebende Organismen hat. Ammoniak ist das einzige Kältemittel, das durch seinen Geruch warnt und zwar lange bevor die Konzentration gefährlich wird. Es wird von Menschen ab einer Konzentration von 420 ppm wahrgenommen. Lebensbedrohlich werden abhängig von der Einwirkungszeit Konzentrationen erst ab 7001000 ppm.

Weiter wird NH3 manchmal als explosiv eingeordnet. Quantitativ ist hierfür eine Flammenausbreitung von vielen Metern pro Sekunde erforderlich, bei Detonationen gehen Geschwindigkeiten in die Größenordnung von Kilometern pro Sekunde. NH3 brennt mit geringer Energie etwa mit der Hälfte von Kohlenwasserstoffen. Gering ist auch die Flammenausbreitungsgeschwindigkeit mit 8 cm/s entsprechend ISO 817 [3]. Das Gas ist selbstentzündlich oberhalb von 651 °C und wird als Kältemittel in die Gruppe B2 (schwer entflammbar), in Übereinstimmung mit ISO 817 und ASHRAE 34, eingestuft. Der Entflammbarkeitsbereich erstreckt sich von 15 % bis 28 % oder abhängig von der Testmethode bis 33 %. Ammoniak kann nur in umschlossenen Räumen brennen. Im Freien ist eine unterstützende Flamme erforderlich. Deshalb ist es als nicht brennbar in Verbindung mit Außenanwendungen eingestuft.

Um ein brennbares Gemisch zu entzünden, ist eine Zündquelle mit einer Mindest­energie erforderlich. Diese ist bei NH3 mit 680 mJ im Vergleich zu anderen brennbaren Substanzen beträchtlich. Methan, Ethan und Propan benötigen eine Mindest-Zündenergie von 0,210,26 mJ und für Wasserstoffgas reichen 0,02 mJ [4].

Informationsdefizite

Die Kälteindustrie war bei der Argumentation zur Sicherheitslage bei Ammoniak nicht erfolgreich. Sie hat es versäumt die Botschaft zu übermitteln, dass dieses Kältemittel einfach zu handhaben und sicher im Betrieb ist, vorausgesetzt die existierenden Sicherheitsvorschriften und Gesetze werden beachtet. Das Internationale Institut für Refrigeration (IIAR), Washington DC, und Eurammon in Frankfurt setzen sich für korrekte Informationen und die Förderung von NH3 als Kältemittel ein.

Nach einem Austritt von Ammoniak entstehen die größten Kosten und Probleme durch Verhandlungen rund um den Neustart und das Fortführen der Produktion. Empfehlenswert ist es daher auch geringfügige Vorfälle zu vermeiden! Der Geruch von Ammoniak bleibt nicht verborgen und die Medien werden über Vorfälle berichten. Die Entfernung zur Wahrnehmung des Geruchs während ungünstiger Wetterbedingungen bei kaltem Klima beträgt für eine größere Emission einige Kilometer.

Zukunft von natürlichen Kältemitteln

Die hervorragenden Eigenschaften als Kältemittel, weshalb es häufig in großen industriellen Anlagen eingesetzt wird, lassen für Ammoniak eine sichere Zukunft erwarten. Kohlendioxid kann in einigen Fällen eine gute Alternative sein, weil es in Bezug auf die Sicherheit einfacher zu handhaben ist. Für Klimaanwendungen ist Wasser ein interessantes Kältemittel, wenn Ammoniak nicht benutzt werden soll.

Der politische Druck auf HFKW wird steigen, was neue technische Lösungen mit natürlichen Kältemitteln wie Ammoniak zur Folge haben wird. Durch Systeme mit geringeren Füllmengen werden neue Ammo­niakanwendungen hinzukommen.

Fazit

Statistiken über tödliche Unfälle durch Ammoniakfreisetzungen können genutzt werden, um die Anzahl der harmlosen Freisetzungen abzuschätzen. Die Daten sollten für die Risikoabschätzung von Ammoniak-Kältesystemen ausgewertet werden. Das Folgende lässt sich aber auf alle industriellen Tätigkeiten anwenden:

Keine technische Einrichtung kann absolut sicher gestaltet werden

Gleiches gilt für Prozesse

Niemand handelt in allen Situationen absolut richtig

Werden Vorschriften und Standards beim Bau und Betrieb von Anlagen eingehalten und erfolgt ein respektvoller Umgang mit den Gefahren und Risiken, dann ist Ammoniak als Kältemittel umweltfreundlich und effizienter als die meisten anderen Kältemittel. Letzteres macht es deshalb auch profitabel für seine Nutzer. -

*) Vortrag anlässlich der Historikertagung 2009 Gemeinschaftsveranstaltung des HKK und der DKV-Senioren vom 18. bis 20. Juni 2009 in Aschaffenburg.

Literatur

[1] Working Fluid Safety, Prof. J. Berghmans, IEA Heat Pump Centre, ISBN 90-73741-10-6

[2] Bureau d´Analyse des Risques et Pollutions Industrielles, Lyon, France

[3] T. Jabbour and D. Clodic, ISO 817, TC86/SC8/WG5, Arlington, VA, September 2003

[4] Flammability Hazard Classification of Refrigerants, Roberts G. Richard, IIR Congress 2003, Washington, DC

Anders Lindborg

Berater der Refrigeration Engineering Consultancy Ammonia Partnership in Viken (Schweden)

Anders Lindborg, Viken (Schweden)

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