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Wie und durch wen Aufgaben gelöst werden sollten

Formel- oder Expertenwissen?

Spezialisten gibt es in allen Arbeitsfeldern. Mit der Qualität der Ausbildung und der Dauer der Tätigkeit nimmt das Wissen um, der Stolz über, die Eigen- und Fremdwahrnehmung als Experte zu. Nach dem Selbstverständnis können Algorithmen und Checklisten keinen Ersatz für das Expertentum darstellen. Ein „erfahrener“ Kältetechniker weigert sich rasch, Checklisten abzuarbeiten und damit eine Tätigkeit auszuführen, welche selbst durch Berufsanfänger nach kurzer Zeit wahrgenommen werden kann. Der Blick über den Tellerrand des eigenen Betriebs zeigt die Möglichkeiten und Grenzen dieser beiden Wissensformen auf.

Experten- und Formelwissen ­gegenübergestellt

Auch aufgrund der zur Verfügung stehenden Rechnerkapazitäten werden Algorithmen heute bei einer Vielzahl von Fragestellungen eingesetzt. Der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman vermutet, dass sich deren Überlegenheit wahrscheinlich daraus ergibt, dass Spezialisten besonders clever und unkonventionell sein wollen. Sogar wenn treffsichere Algorithmen bekannt sind, setzten sich Spezialisten darüber hinweg, weil sie glauben, über zusätzliche Informationen zu verfügen [3, S. 277].

So gibt es in der klinischen Psychologie zahlreiche Untersuchungen, die statistische Algorithmen Ergebnissen persönlicher Einschätzungen gegenüberstellen. Meehl bezieht sich auf über 200 Untersuchungen. Bei 60 Prozent der Studien sind die Algorithmen treffender, bei 40 Prozent ergibt sich kein wesentlicher Unterschied, wobei auch dieses Ergebnis für die Algorithmen spricht, da sie preiswerter und schneller Ergebnisse ermitteln [4, S. 375].

Die persönliche Gewichtung einzelner Faktoren durch einen Experten verbessert die Ergebnisse von Algorithmen nicht, das Eingreifen verschlimmbessert die Ergebnisse allenfalls. Werden alle Faktoren gleich gewichtet, wird der Zufall ausgeschlossen und die Qualität der Ergebnisse verbessert [3, S. 279].

Mitarbeiter wie auswählen?

Die Bedeutung der Personalauswahl für Kälte- und Klimatechniker muss gerade im Mittelstand nicht begründet werden, wo Mitarbeiter schnell selbstständige Verantwortung übernehmen und häufig jahrzehntelang im Unternehmen verbleiben.

Kahneman führte zu Beginn seiner Laufbahn ein Auswahlverfahren für die israelische Armee ein, um den optimalen Einsatz für Rekruten zu finden. Er entwickelte einen standardisierten Fragebogen, mit dem Persönlichkeitsmerkmale ermittelt wurden [3, S. 260]. Die Interviewer lehnten dieses Vorgehen ab, wollten nicht langweilige Standardfragen abarbeiten, sondern ihrer Intuition vertrauen. Kahneman vereinbarte einen Kompromiss: Die Interviewer stellten die Standardfragen, schlossen anschließend die Augen und gaben jedem Soldaten einen Punktwert von eins bis fünf. Nach einigen Monaten erfolgte die Überprüfung des Verfahrens mittels der Leistungsbeurteilungen der vorab beurteilten Soldaten. Kahnemans Bewertungsschema funktionierte: Von „völlig nutzlos“ hatte sich die Bewertung immerhin zu „mittelmäßig nützlich“ verbessert. Allerdings ergab auch das „Geschlossene-Augen“-Verfahren deutlich bessere Ergebnisse als bisher. Intuition bietet somit einen Mehrwert, aber erst, wenn vorab eine standardisierte, disziplinierte Bewertung erfolgte [3, S. 262].

Dabei gibt es durchaus Situationen, in denen intuitive Entscheidungen zu besseren Entscheidungen führen als das Abhaken von Checklisten. So führt Malcolm Gladwell als Beispiel die Expertenbeurteilung der Echtheit einer Kunststatue an. Mehrere Teilnehmer hatten das starke, gleichwohl unbestimmte Gefühl, dass mit einer präsentierten Statue etwas nicht stimmen könnte. Ihr Gefühl täuschte sie nicht, es handelte sich um eine Fälschung [2, S. 8]. Intuition ist nur ein anderes Wort für Wiedererkennen. Bis zum Expertentum ist es allerdings ein langer Weg. Ob Schach- oder Klavierspielen, Brandbekämpfung oder Kunstbeurteilung, 10 000 Stunden, also sieben Jahre lang jeden Tag vier Stunden, sind erforderlich, um zum Experten zu werden [1, S. 77]. Das gilt für die Kältetechnik in etwa ebenso.

Wirksamkeit von Expertenwissen

Mit der Tätigkeitsdauer liegt eine Voraussetzung fest, dass dem Urteil eines Experten vertraut werden kann. Zum erfolgreichen Einsatz bedarf es zweier weiterer Grundlagen:

  • Eine Umgebung, die hinreichend regelmäßig ist, um vorhersagbar zu sein.
  • Die Gelegenheit, diese Regelmäßigkeit durch langjährige Übung zu erlernen [3, S. 296].
  • Diese Vorrausetzungen sind idealtypisch beim Schachspielen vorhanden, ebenso haben Notärzte und Feuerwehrleute, Sportler und Schadensgutachter komplexe, aber geordnete Situationen vorliegen, während bei Aktienfondsmanagern und Politikern diese Vorrausetzungen fehlen. Und Kältetechniker? Es kommt darauf an, wie die späteren Beispiele aufzeigen.

    Je unmittelbarer eine Rückkopplung auf die jeweilige Entscheidung erfolgt, umso effizienter läuft der Lernprozess ab. Entsprechend gelingt es den meisten, sich unfallfrei im Straßenverkehr zu bewegen. Es gibt ein unmittelbares Feedback, in einer Kurve, in die zu schnell hineingefahren wird, oder von einer Ampel, vor der allzu spät gebremst wird. In der Kältetechnik sind Veränderungen bei der Konfiguration von Anlagen zügig feststellbar, während die langfristigen Kosten einer neuen Anlage oder die Einstellung eines Auszubildenden sehr viel später ihre Auswirkungen zeigen.

    Umsetzung in der Kältetechnik

    In der Kältetechnik gibt es regelmäßige und unregelmäßige Umgebungen. So erfolgt die Wartung einer Anlage regelmäßiger als die Installation einer neuen Lösung.

    Werden vier Stunden pro Arbeitstag als „Training“ definiert, wäre bei 220 Arbeitstagen im Jahr das Expertentum nach ca. elf Jahren erreicht. Dabei wird das Expertentum im Mittelstand sicherlich schneller erreicht, wenn der Betroffene eigenständige Entscheidungen frühzeitig treffen muss, als in einem großen Unternehmen, in dem unmittelbare Vorgesetze im Ausnahmefall eingreifen.

    Auf Basis der oben angeführten Überlegungen lassen sich Einsatz- und Nutzungsmöglichkeiten von Formel- und Expertenwissen herleiten.

    Fall 1: Unregelmäßige Umgebung, keine Lernmöglichkeiten

    Wenn Menschen plötzlich einen Verletzten sehen, reagieren sie unterschiedlich.
    Der Wunsch zu helfen steht im Gegensatz zur Sorge, dem Verletzten zu schaden. Meistens kann man etwas tun, danach gilt es professionelle Hilfe anzufordern. Trifft der Krankenwagen ein, übernehmen Profis die Verantwortung, arbeiten zügig, aber nicht hektisch, sind achtsam, aber nicht nervös. Diese Situation ereignet sich für den Einzelnen selten, vielleicht nie, für den Rettungssanitäter dagegen an jedem Arbeitstag.

    Unter vergleichbaren Umständen kann ein Kältetechniker Fehler vermeiden, aber wenig Richtiges tun. Mit der Fehlervermeidung ist bereits viel erreicht, danach gilt es, Profis ihre Aufgabe machen zu lassen. Wenn z. B. einmal der steuerliche Betriebsprüfer detaillierte Fragen hat, sollte der Kältetechniker sich nicht um Kopf und Kragen reden, sondern seinen Steuerberater antworten lassen. Hier zurückzutreten ist kein Eingeständnis der Inkompetenz, sondern die realistische Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Grenzen.

    Fall 2: Regelmäßige Umgebung, keine Lernmöglichkeiten

    Wartung und Instandhaltung stellen eine regelmäßige Umgebung dar. Die Erweiterung desGeschäftsfeldes, die Installation bisher nicht eingesetzter Lösungen ist dagegen ungewohnt. Kältetechniker erleben eine solche Situation meistens erst nach einigen Jahren erneut. Weiterhin kann der Lerneffekt gering sein, wenn in der Kältetechnik Erfahrungen vorliegen, aber in der Klimatechnik bisher nur wenige. Dann gilt es, sich externen Rat zu holen, die Aufgabe durch einen unabhängigen Experten begleiten zu lassen. Dabei kann und darf durchaus befragt werden, welches Wissen wie eingesetzt, welche Erfahrung wie gewonnen wurde.

    Fall 3: Unregelmäßige Umgebung, ­Lernmöglichkeiten

    Die Übernahme einer bestehenden Anlage in das eigene Wartungspaket oder die Einstellung eines Mitarbeiters sind Aufgaben, welche unregelmäßig erfolgen und bei denen eine Reaktion auf das Vorgehen erfolgt, aber die Umgebung durch Unregelmäßigkeit gekennzeichnet ist, da jeder Vorgang sich von anderen unterscheidet.

    Entsprechend sollten Kältetechniker sich an die Reihenfolge halten, erst Formelwissen, dann persönliches Wissen einzusetzen. Dabei müssen insbesondere im Mittelstand keine ausgefeilten, detaillierten Algorithmen zum Einsatz kommen, allerdings sollte vor der Bewertung des einzelnen Vorgangs knapp schriftlich festgehalten werden, welches Kriterium, welche Aufgaben abgearbeitet werden. Das Befolgen diese Checkliste vermeidet den Fehler, sich von einer unbestreitbar positiven Eigenschaft derart überzeugen, ja „blenden“ zu lassen, dass die negativen Bestandteile des „Gesamtangebotes“ zurückgestellt werden.

    Dies trifft nicht nur auf Menschen zu, sondern auch auf Anlagen, wenn der potenzielle Kunde ein „altes Schätzchen“ zur Wartung und Instandhaltung anbietet. Dabei kann und soll nach der einzelnen Entscheidung auf die Checkliste zurückgegriffen und geprüft werden, ob und wo eine Anpassung sinnvoll ist.

    Nach der Beurteilung des Einzelfalls wird auf das Expertenwissen des Entscheiders zurückgegriffen, wobei diese Reihenfolge eingehalten wird.

    Fall 4: Regelmäßige Umgebung, ­Lernmöglichkeiten

    Vor allem Wartungen erfolgen wieder und wieder. Zwar sind immer wieder Anpassungen erforderlich, grundsätzlich ist die Umgebung jedoch regelmäßig. Weiterhin bestehen direkte Lernmöglichkeiten an-
    hand der Ausfälle dieser Anlagen. Deshalb sollten Hinweise eines erfahrenen Kältetechnikers ernst genommen werden, wenn „etwas nicht stimmt“. Und zwar nicht erst, wenn technische Werte auffällig werden, sondern bereits dann, wenn Geräusche einer Anlage oder ungewohnte Gerüche die Aufmerksamkeit erregen. Formelwissen in vielfältiger Form ist wichtig, kann
    hier jedoch die Kompetenz des Experten nicht ersetzen. 

    Dipl.-Betriebswirtin ­Susanne Schneider
    Steuerberaterin mit Tätigkeiten bei einem mittel­ständischen Klimatechnik-Unternehmen und im Rechnungswesen eines Anlagenbaukonzerns. Wohnort ist Essen.

    Susanne Schneider

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