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Interview mit Dr.-Ing. Jürgen Süß, Geschäftsführer Cofely Refrigeration, Lindau

Hoch- und Niedrigtarifzeiten mit Smart Grid intelligent überbrücken

Wolfgang Schmid: Als einer der ersten An-bieter von Kaltwassersätzen weist Cofely auf die Smart-Grid-Fähigkeit ihrer Kältemaschinen hin. Nach meinen bisherigen Eindrücken hat die Kälte- und Wärmepumpenbranche noch keine klare Vorstellung, was sich hinter dem Begriff verbirgt und welche Auswirkungen die Einführung von Smart- Grid-Funktionen auf die Projektierung und den Betrieb von Kälte- und Wärmepumpen haben wird. Was verstehen Sie unter dem Begriff Smart-Grid-ready?

Jürgen Süß: Es ist richtig, dass der Begriff in unserer Gesellschaft von den meisten Bürgern noch nicht richtig zugeordnet werden kann. Das gilt auch für die Kälte- und Wärmepumpen-Branche. Im Grunde genommen wenden wir Smart-Grid-Funktionen bereits seit Jahrzehnten in der Indus­trie, aber auch in der Klima- und Kältetechnik in Form des Lastmanagements an. Ziel dabei ist es, den mit den Energieversorgern vereinbarten Höchstbezug an elektrischem Strom durch das zeitweise Abschalten von elektrischen Verbrauchern nicht zu überschreiten. Beim Smart Grid geht es darum, den Betrieb von elektrischen Verbrauchern in Zeiten zu verlegen, in denen Strom aus regenerativen Energien, wie Wind- und Solarstrom, im Überfluss zu entsprechend günstigeren Tarifen zur Verfügung steht.

Zusätzlich wird mithilfe von Smart-Grid-Funktionen die Möglichkeit geschaffen, tariflich attraktive Stromangebote vorausschauend zu nutzen, beispielsweise zum zeitlich versetzten Einschalten von Kühlprozessen oder zur Energiespeicherung. Die Energiespeicherung kann energetisch gesehen besonders vorteilhaft thermisch, in Form von Wärme oder Kälte, erfolgen. Smart-Grid-Funktionen versetzen uns in die Lage, preisattraktive Stromangebote möglichst umfassend zu nutzen, Spitzenstrombezüge zu vermeiden und die gebäudespezifische Lastkurve unterhalb des vertraglich vereinbarten Maximalbezugs zu halten. Sowohl Wohn- als auch Büro- und Verwaltungsgebäude eröffnen hier ein vergleichsweise hohes Lastverschiebepotenzial.

Wolfgang Schmid: Cofely bietet den Quantum-Kaltwassersatz mit Smart-Grid- ready-Funktionen an. Wie muss man sich das vorstellen?

Jürgen Süß: In der Regel ist die mit dem Versorger vereinbarte Anschlussleistung eines Gebäudes geringer als die Summe der Anschlussleistungen der einzelnen elektrischen Verbraucher. Unsere Kältemaschine ist in der Lage, interne oder externe Si­gnale zur elektronischen Leistungsbegrenzung aufzunehmen und den Teillastbetrieb dem mit dem Versorger vertraglich festgelegten Maximalwert anzupassen. Da die Energieversorger in der Regel noch keine Sondertarife für überschüssigen Strom aus erneuerbaren Energien anbieten, konzentrieren wir uns vorläufig auf die gebäudeinterne Lastbegrenzung. Ich gehe davon aus, dass in Deutschland Smart-Grid-Funktionen stufenweise eingeführt werden, sobald man sich auf einen Kommunikationsstandard geeinigt hat.

In den USA gibt es bereits Projekte, überschüssige Stromkontingente über das Mobilfunknetz an registrierte Verbraucher zu si­gnalisieren. In einem konkreten Fall in Texas werden beispielsweise die Raumthermostate von Klimaanlagen in Privathäusern übersteuert, um die Lastkurve des Versorgers zu glätten. Viele solcher Projekte in den USA laufen unter dem Aspekt peak shaving, das heißt, eine möglichst gleichmäßige Auslastung des Stromnetzes zur Vermeidung von Lastspitzen. Im Gegensatz dazu streben wir in Deutschland mithilfe von Smart-Grid-Funktionen eine möglichst hohe Nutzung überschüssiger Stromkapazitäten aus erneuerbaren Energien an. Gleichzeitig bemühen sich die Energieversorgungsunternehmen (EVU) um schaltbare Lasten bei ihren Kunden, um bei Strommangel elektrische Verbraucher gezielt abschalten zu können oder auf Teillast zu fahren.

Wolfgang Schmid: Die ersten deutschen Kälteprojekte mit Smart-Grid-Funktionen sind noch nicht sehr überzeugend. Teilweise ist sogar von einem Mehrverbrauch an Energie die Rede, wenn zum Beispiel die Kälteanlagen von Kühlhäusern intermittierend auf der Basis preisattraktiver Stromangebote betrieben werden. Spielen bei Kälteanlagen nicht auch die Rahmenbedingungen, unter denen Kälte erzeugt und genutzt wird, eine Rolle?

Jürgen Süß: Bei der Nutzung von gewerblichen Kälteanlagen und Kühlhäusern für Lebensmittel als Smart-Grid-geführte Energiespeicher müssen ganz klar die Rahmenbedingungen beachtet werden. Für Lebensmittel gibt es verbindliche Vorgaben, welches Temperaturspektrum bei der Kühlung einzuhalten ist. Beispielsweise dürfen bei der Lebensmittelkühlung bestimmte Grenztemperaturen nicht überschritten werden. Wenn man die Kühltemperaturen stärker absenkt als notwendig, ist das natürlich energetisch aufwendiger.

Für sinnvoll halte ich die zusätzliche Absenkung der Temperaturen in Tiefkühllagern oder Tiefkühlmöbeln in der kühleren Nacht, da dann die Außentemperatur erheblich tiefer ist und durch die niedrigeren Verflüssigungstemperaturen eine höhere Kälteleistungszahl (COP) erreicht werden kann. Diese Betriebsweise lohnt sich besonders in Verbindung mit günstigen Nachttarifen für Strom. Der Betreiber hat dann die Möglichkeit, durch die nachts eingespeicherte Energie teure Hochtarifzeiten zu überbrücken, zumindest so lange die jeweilige Grenztemperatur des Kühlguts nicht überschritten wird.

Der Betreiber spart also mehrfach: Durch den höheren COP, sprich den energieeffizienteren Betrieb bei Nacht, durch die Nutzung von preisattraktiven Nachttarifen und durch die Vermeidung von Hoch­tarifen am Tag. Ich kann mir vorstellen, dass durch den Ausbau der Windenergie vor allem die Nachtstromtarife nachgeben. Mithilfe der Smart-Grid-Funktionen können solche Tarife automatisiert genutzt werden. Wer zusätzlich Energiekosten einsparen will, muss natürlich auch bereit sein, seine Anlagen bei Strommangel im Netz ganz abzuschalten oder auf Teillastbetrieb zu gehen. Ich bin sicher, dass die Steuerung von kältetechnischen Anlagen sowie von Wärmepumpen nach preisattraktiven Tarifen in Zukunft an Bedeutung gewinnt.

Wolfgang Schmid: Ein Supermarktbesitzer oder der Betreiber eines Kühlhauses oder eines Kältelogistikzentrums wird weder Zeit noch Interesse haben, auf zeitlich begrenzte Stromangebote zu reagieren. Kann das intelligente Stromnetz dazu führen, dass der Anlagenbetrieb vermehrt in Form von Contracting ausgelagert wird? Ein Contractor hat ja heute die Möglichkeit, Stromkontingente einzukaufen und an seine Kunden zu verkaufen.

Jürgen Süß: Im Prinzip werden solche Konzepte von Cofely Energy Services bereits umgesetzt. Das Konzept lässt sich natürlich auch auf Kälteanlagen übertragen. In Wirklichkeit wollen die wenigsten Eigentümer oder Betreiber von Gebäuden, Lebensmittelmärkten oder gewerblichen Kühleinrichtungen ihre Kälteanlagen selbst besitzen oder betreiben. Wichtig für diese Zielgruppe ist vielmehr eine gesicherte Dienstleistung zu kalkulierbaren, günstigen Preisen. Ein Contracting-Unternehmen hat natürlich ganz andere Möglichkeiten, Strom und Erdgas günstig einzukaufen, um die unter Contracting-Vertrag stehenden Anlagen zu betreiben.

Wolfgang Schmid: Wie weit sind wir von der praktischen Anwendung von Smart-Grid-Funktionen in der Kältetechnik noch entfernt?

Jürgen Süß: Der Ein- und Verkauf von ­Energie ist für Cofely Energy Services kein Neuland mehr. Im Bereich Contracting ist das bereits etabliert. Jetzt geht es eher darum, nach welchem Schlüssel der preisattraktive Strom verteilt wird und über welche Protokolle zwischen den Stromanbietern und den aufgeschalteten Gebäuden bzw. den Kältemaschinen kommuniziert wird. Zu diesem Thema gibt es in unserem Konzern, der GDF Suez-Gruppe, einem der weltweit größten Energieversorgungsunternehmen, bereits erste konkrete Ansätze. Durch die praxiserprobte Fernüberwachung und den Fernbetrieb von Anlagen über Internetverbindungen sind gezielte Schalthandlungen heute ja bereits Standard. Ziel ist die automatisierte Schaltung nach Smart-Grid-Kriterien, also die Nutzung preisattraktiver Tarife, aber auch die Einbindung in ein Demand Side Management bei abzusehendem Strommangel des jeweiligen Versorgers. Wichtig ist, dass sich die Branche bald auf einen Kommunika­tionsstandard einigt. Bis dato haben wir es hierbei eher noch mit Fragmenten zu tun. Das BACnet-Protokoll könnte ein Teil dieses Konzepts sein. Den Industriestandard für die Schnittstelle wird voraussichtlich die Energiewirtschaft definieren. Wichtig ist, die dazu notwendige Kompatibilität zu den in der Gebäudetechnik üblichen Protokollen herzustellen.

Wolfgang Schmid: Energieversorger, Netzbetreiber und Stadtwerke suchen bei ihren Großkunden händeringend nach schaltbaren Lasten. Wie schätzen Sie die künftige Rolle von Kälteanlagen in einem Demand Side Management ein? Welchen Stellenwert bekommt die Kälte beim sogenannten peak shaving?

Jürgen Süß: Ich sehe es als eine gesetz­liche Vorgabe an, Strom aus erneuer­baren Energien dann zu nutzen, wenn er verfügbar ist. Kälte- und Wärmesysteme sind dabei als Abnehmer besonders prä­destiniert, insbesondere bei Büro- und Verwaltungsgebäuden, da es dort nicht so sehr auf die exakte Einhaltung von Grenztemperaturen ankommt und das Gebäude an sich als Energiespeicher wirkt. Schon heute werden Kältemaschinen und Wärmepumpen nach Energieeffizienzkriterien betrieben. Die Branche ist deshalb für die Aufschaltung von Smart-Grid-Funktionen bis auf die Protokollfrage bestens vorbereitet.

Wolfgang Schmid: Die offene Protokollfrage klingt nach einer langen Übergangszeit. Investoren, Hausbesitzer und Anlagenbetreiber werden ohne Not bzw. ohne Tarifanreize unter diesen Bedingungen derzeit kaum für Smart-Grid-Anbindungen zu gewinnen sein. Welche Übergangslösung sehen Sie?

Jürgen Süß: Aller Anfang ist schwer, das gilt auch für das intelligente Stromnetz. Ich sehe im Contracting eine gute Möglichkeit, Smart-Grid-Funktionen zu etablieren, weil dort die Rahmenbedingungen für die Energielieferung bzw. den Betrieb der gebäudetechnischen Anlagen ohnehin vertraglich festgelegt sind. Ich denke, Smart- Grid-Funktionen werden den Contracting-Modellen wichtige Impulse geben.

Wolfgang Schmid: Vielen Dank für das Gespräch. -

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