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Fraunhofer-Institute testen Lüftungsanlagen

Tief durchatmen – trotz Corona!

Parallel untersuchen Fraunhofer IBP und IPA in einer Studie, wie sich Lüftungsanlagen auf die Verbreitung von Aerosolen auswirken. Beratungszentrum und Studie sind Teil der „Healthy Air Initiative“ des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg. Noch im Dezember 2020 hat das Ministerium diese Initiative beschlossen, ein integriertes Beratungs- und Forschungsprogramm.

KMUs adressiert

„Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) haben in der aktuellen Pandemielage einen hohen Beratungsbedarf zur Aerosolvermeidung. Mit der Healthy Air Initiative wollen wir unseren Unternehmen schnell und praxisnah wissenschaftlich fundierte Lösungen für die Raumlüftung zur Aerosolvermeidung aufzeigen“, so Ministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut.

Die drei Stuttgarter Fraunhofer-Institute IBP, IGB und IPA richten deshalb das gemeinsame Beratungszentrum für gesunde Raumlauft ein. Darin helfen sie KMUs aus Baden-Württemberg bei der Umsetzung von Lüftungskonzepten. Zusammen mit Herstellern betreiben sie Testumgebungen und führen Wirksamkeitstests von Luftreinigungstechnologien durch. Außerdem wird in einer Studie überprüft, wie sich mobile und festinstallierte Lüftungsanlagen auf die Verbreitung infektiöser SARS-CoV-2-Aerosole auswirken.

Untersuchungen zur Umrüstung und Neukonstruktion von Lüftungsanlagen

Ursprünglich wurden Lüftungs- und Luftreinigungsanlagen entwickelt, um Staub und stickige Luft aus Innenräumen herauszufiltern und Frischluft von außen anzusaugen. Wie sie sich auf die Verbreitung von Viren auswirken, interessierte lange kaum jemanden. Dann kam Corona und seither ist klar: Lüftungsanlagen können in Kombination mit Klimatechnik die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in geschlossenen Räumen begünstigen.

„Je kälter und trockener die Luft, desto einfacher breitet sich das Virus aus“, so Dr. Udo Gommel, Bereichsleiter Automatisierung und Reinheitstechnik am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA. „Denn dann verdunsten die winzigen Wassertröpfchen schneller, in denen das Virus enthalten sein kann, und es schwebt länger durch den Raum“, ergänzt Professor Dr. Gunnar Grün, stellvertretender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP.

Da ständiges oder häufiges Lüften nicht nur in der kalten Jahreszeit kaum eine Alternative ist, müssen bestehende Lüftungs- und Luftreinigungsanlagen umgerüstet und neu zu verbauende anders konstruiert werden. Aber wie anders? Und wie genau wirken sich bestehende Lüftungsanlagen ohne Klimatechnik auf die Verbreitung von SARS-CoV-2 aus? Genau das möchte nun ein Forschungsteam in einer gemeinsamen Studie herausfinden.

Dekontamination von Filtern

Dazu wollen sich die Wissenschaftler einen Überblick verschaffen: Welche festinstallierbaren oder mobilen Lüftungsgeräte sind auf dem Markt verfügbar? Wie wirken sie sich auf Viruslast, Partikel, Geräuschentwicklung und Be­haglichkeit in geschlossenen Räumen aus? „Unsere Aufmerksamkeit gilt natürlich auch nachhaltigen Aspekten, wie der praktischen Anwendung, Wartung und dem Energie­verbrauch der Geräte“, konkretisiert Prof. Grün.

Die theoretischen Betrachtungen münden zunächst in Simulationen und anschließend in praktische Tests. Das Forschungsteam möchte mit den Anlagen im Reinraum des Fraunhofer IPA, in den Labors von Fraunhofer IBP und IGB oder einfach dort, wo sie ohnehin schon verbaut sind, Versuche durch­führen, beispielsweise in Besprechungs- und Konferenzräumen oder Arbeitsstätten. Dort werden sie zusammen mit Herstellern von Lüftungs- und Luftreinigungsanlagen verschiedene Szenarien simulieren und bewerten, wie sie sich auf die Aerosolverteilung im Raum auswirken. So lassen sich schnell belastbare Erkenntnisse gewinnen.

Am Ende stehen dann konkrete Vorschläge, wie Lüftungsanlagen verbessert oder umgerüstet werden müssen, damit sie die Ausbreitung von SARS-CoV-2 möglichst unter­binden. Eines ist aber jetzt schon absehbar: „Wenn Lüftungsanlagen Krankheitserreger aus Innenräumen herausfiltern, sind ihre Filter mit Viren belastet“, gibt Studienleiter Gommel zu bedenken. „Also können die Filter z. B. mit ultraviolettem Licht bestrahlt werden, wodurch die Viren inaktiviert werden. Da diese UV-Strahlung schäd­lich für das menschliche Auge und die Haut ist, muss die Bestrahlung abgeschirmt in einem eigens konstruierten Gehäuse oder Bereich stattfinden.“

Tests mit Modellviren zeigen Wirksamkeit von Luftreinigungstechniken

Parallel zur Studie richten Gommel, Grün und ihre Kollegin Prof. Dr. Susanne Bailer vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB das Beratungszentrum für gesunde Raumluft ein. Es dient kleinen und mittleren Unternehmen aus Baden-Württemberg als Anlaufstelle bei allen Fragen zur Ausgestaltung der Raumlüftung in Zeiten der Pandemie.

Speziell für Hersteller sollen geeignete Teststände aufgebaut werden, um die Wirksamkeit von Luftreinigungstechniken untersuchen zu können. „Um möglichst belastbare Aussagen treffen zu können, arbeiten wir dabei mit sogenannten Surrogat-Viren. Diese für den Praxistest eingesetzten Modellviren sind den neuartigen Coronaviren sehr ähnlich, für Mensch und Umwelt aber unbedenklich“, erläutert Bailer. „Indem wir die Viren vor und nach Maßnahmen zur Luftreinhaltung hinsichtlich ihrer Aktivität und Menge analysieren, lassen sich Rückschlüsse auf notwen­dige Anpassungen der Lüftungsanlagen oder Inaktivierungsschritte ziehen.“

Um auch den Informationsbedarf von Anbietern und Herstellern von Lüftungs- und Luftreinigungsanlagen abzudecken, teilen die Forscher ihre Erfahrungen aus der Beratungspraxis mit diesen Unternehmen.

Aerosole auch in anderen Lebensbereichen gefährlich

Die Healthy Air Initiative läuft ein Jahr und wird mit 2,7 Mio. Euro gefördert. Zum Start fand Anfang März eine Online-Veranstaltung zum Thema Luftreinigung statt. Darin informierten die beteiligten Wissenschaftler über ihr Beratungszentrum und erklärten, wie sich Unternehmen daran beteiligen können. In späteren, gleichartigen Webinaren wird das Forschungsteam über neu gewonnene Erkenntnisse berichten.

Die Studienergebnisse, die Anfang 2022 vorliegen sollen, könnten als Grundstein für weitere Untersuchungen dienen. Denn auch als Überträger anderer infektiöser Viren und in anderen Lebensbereichen sind Aerosole ein ernsthaftes Problem: angefangen bei der Luftverschmutzung durch Feinstaub und Stickoxide in zahlreichen deutschen Groß­städten, über toxische Dämpfe in Flugzeugkabinen und Materialausdünstungen in Gebäuden, bis hin zu giftigen oder leitfähigen Partikeln, die die Batteriezellenfertigung stören. Auf Basis weiterführender Studien wäre die Industrie künftig in der Lage, wirkungsvolle und kostengünstige Lüftungs- und Luftreinigungsanlagen für breite Anwen­dungsbereiche zu entwickeln.

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