Die Schaffung eines europäischen Bildungsraumes mit vergleichbaren Abschlüssen war eines der wesentlichen Ziele einer Initiative der Bildungs- und Wissenschaftsminister der europäischen Staaten, welche vor zehn Jahren den gesamten Kontinent ergriffen hat und unter dem Namen Bologna-Prozess bekannt geworden ist. Zentrales Element dieses Prozesses ist die Umstellung der Studienstruktur auf gestufte Abschlüsse, dieinsbesondere im asiatischen und amerikanischen Raum als Standard anzutreffen sind.
Die tragende Idee des Bologna-Prozesses ist es u. a., jungen Menschen ihren Fähigkeiten entsprechende Abschlüsse anzubieten. Hierbei stellt der Bachelor nach einer Studienzeit von drei bis vier Jahren den ersten berufsqualifizierenden Abschluss dar. Guten Absolventen der Bachelor-Studiengänge wird dann die weitere wissenschaftliche Vertiefung im Rahmen eines Master-Studiums angeboten. Den besten Master-Absolventen wird anschließend der Weg zur Promotion eröffnet.
FHs spielen herausragende Rolle
Dieser an der Qualifikation der Studierenden orientierte Ablauf ist zwischenzeitlich auch in Deutschland flächendeckend umgesetzt. Insbesondere die Fachhochschulen haben hierbei eine herausragende Rolle gespielt und den Nachweis erbracht, dass der Bachelor-Abschluss berufsqualifizierend sein kann. Die hohe Qualität dieser Abschlüsse wird auch von Arbeitgebern ohne Abstriche anerkannt. Auch der Übergang der besten Bachelor-Absolventen in Master-Studiengänge sowie deren Befähigung zur erfolgreichen Promotion wird bereits durch eine große und wachsende Zahl von Beispielen nachdrücklich belegt.
Fachhochschulen sind ein zentraler Innovationsmotor der deutschen Wirtschaft. Dies zeigt sich auch darin, dass heute schon die Mehrheit der Ingenieure an Fachhochschulen ausgebildet wird. Entscheidungsträger im Wissenschaftssystem gehen künftig von einem Anteil von 80 Prozent aus. In diesem Zusammenhang ist es unabdingbar, dass auch in der Öffentlichkeit die Stellung dieser Ingenieure wie im Rahmen des Bologna-Prozesses geschehen entsprechend ihrer Bedeutung und Qualifikation wahrgenommen wird.
Wiedereinführung konterkariert weltweite Kompatibilität von Hochschulabschlüssen
Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass in einzelnen Bereichen eine Diskussion zur Wiedereinführung des Diplom-Ingenieurs als akademischen Abschluss oder als Zusatz zu den neuen akademischen Graden im Ingenieurbereich begonnen hat. Die Wiedereinführung würde nicht nur das Ziel der weltweiten Kompatibilität von Hochschulabschlüssen konterkarieren. Sie würde vielmehr auch zu Verwirrungen im deutschsprachigen Raum mit zunehmender Intransparenz führen. Schließlich wäre sie der Türöffner für weitere Disziplinen, sich von den eingeführten und zwischenzeitlich etablierten und seitens der Arbeitgeber akzeptierten Bachelor- und Master-Abschlüssen abzuwenden und die Rückkehr zum alten, singulär deutschen System zu fordern. Dieses wäre ein politischer Rückschritt und würde sowohl bei Bewerbern als auch bei Arbeitgebern sowie insbesondere bei ausländischen Betrachtern zu erheblicher Verwirrung führen.
Die in der HAWtech zusammengeschlossenen Hochschulen sehen daher in einer Rückkehr zum früheren System mit ausschließlicher oder zusätzlicher Vergabe des Diplomgrades eine große Gefahr für die Weiterentwicklung des Hochschulsystems. Eine weitere Differenzierung neben Bachelor und Master ist weder national und schon gar nicht international notwendig und hilfreich. Eine konstruktive Gestaltung und gemeinsame Erarbeitung einer Marke durch hohe Qualität ausgezeichneter deutscher Bachelor- und Masterabschlüsse sollte vielmehr das vorrangige Ziel aller Beteiligten sein.
Die Hochschulallianz für Angewandte Wissenschaften (HAWtech) stellt einen Zusammenschluss führender deutscher Fachhochschulen mit einem Schwerpunkt im Bereich der Ingenieurwissenschaften dar. Unter der Leitidee Starke Regionen, starke Hochschulen Interessen verbinden haben sich die FH Aachen, HTW Berlin, HS Darmstadt, HTW Dresden, HS Esslingen und HS Karlsruhe zusammengefunden, um gemeinsam in Themen der Lehre, der Forschung, der Internationalisierung, Verwaltung und Öffentlichkeitsarbeit Synergien zu schaffen und neue Maßstäbe zu setzen. Jede der beteiligten Hochschulen verfügt über einen ausgeprägten technischen Schwerpunkt, besitzt in diesem Bereich eine sehr hohe Reputation und hat ihren Standort in einer wirtschaftlich attraktiven Region in Deutschland. Insgesamt sind an den Hochschulen der HAWtech rund 47 000 Studierende eingeschrieben. Der Vorsitz der HAWtech liegt derzeit beim Rektor der Hochschule Esslingen, an welcher auch die Geschäftsstelle eingerichtet ist. -
VBI begrüßt die Wiedergeburt des Diplom-Ingenieurs
„Der Verband Beratender Ingenieure (VBI), Berlin, begrüßt ausdrücklich die Wiedereinführung des akademischen Grades Diplom-Ingenieur. Das Landesparlament Mecklenburg-Vorpommern hatte bereits vor Jahreswechsel als erstes Bundesland seinen Universitäten und Hochschulen ermöglicht, den Studierenden wieder den Dipl.-Ing. zu verleihen. Master, achtsemestrige Bachelor und Diplomingenieure können somit gleichberechtigt existieren. Eine Verwirrung des späteren Arbeit- oder Auftraggebers, wie von Kritikern ins Feld geführt, können wir nicht erkennen. Das ist der erste wichtige Schritt, die ohne Not herbeigeführte faktische Abschaffung des Diplom-Ingenieurs wieder rückgängig zu machen“, sagte VBI-Hauptgeschäftsführer Dipl.-Ing. Klaus Rollenhagen Ende Dezember 2010 in Berlin.
Hintergrund für die Gesetzesinitiative sei vor allem die Nachfrage von Studierenden, die verstärkt wieder den akademischen Grad Diplom-Ingenieur verlangten. Im nordöstlichsten Bundesland ist dafür eine vernünftige Lösung gefunden worden. Denn weder an den Ausbildungsinhalten noch an den dem Bologna-Prozess angepassten Strukturen solle etwas verändert oder gar die Internationalisierung von Abschlüssen angetastet werden.
„Mecklenburg-Vorpommerns Akademikerschmieden erhalten nun ihre Handlungsfreiheit zurück: Studierende, die auch die international anerkannte Marke Dipl.-Ing. für ihr eigenes berufliches Fortkommen nutzen wollen, können künftig den Grad Diplom-Ingenieur für ihr Zeugnis beantragen. Das sei eine intelligente Lösung, die auch in anderen Bundesländern Schule machen sollte, heißt es weiter. Die akademische Abschlussbezeichnung ist zwar ein wichtiges Signal, aber letztlich zweitrangig: Bedeutend ist für den VBI, dass die berufliche Qualifikation in Deutschland so hochwertig wie bisher bleibt und wir mehr junge Leute für ein technisches Studium, beispielsweise im Bauingenieurwesen, begeistern können“, so Rollenhagen.