Im Berufs- und Privatleben ist es zuweilen unvermeidbar, das Verhalten oder die Einstellung anderer Menschen zu kritisieren. Führungskräfte stehen sogar regelmäßig vor dieser Herausforderung – zum Beispiel wenn sie Mitarbeitern eine Rückmeldung über Leistung geben. Doch nicht jeder Mensch verträgt Kritik, und sei sie noch so sachlich und wertschätzend formuliert. Abhängig davon, wie gefestigt sie sind, reagieren Personen sehr unterschiedlich auf eine kritische Rückmeldung. Mal souverän, mal irritiert oder verletzt und zuweilen sogar feindselig und aggressiv. Und häufig können Führungskräfte vorab nicht einschätzen: Wie wird der Mitarbeiter reagieren? Deshalb schieben sie das Feedback-Geben oft auf die lange Bank. Und zuweilen kehren sie ihre Kritik sogar unter den Teppich, weil sie die Mitarbeiterreaktionen fürchten.
Doch warum reagieren manche Menschen so emotional auf eine negative Rückmeldung, obwohl Feedback an sich etwas Positives ist. Denn es liefert es uns Klarheit darüber, inwieweit unser Selbstbild dem Bild anderer Personen über uns und unsere Leistung entspricht, und hilft uns so,
- „blinden Flecken“ zu reduzieren,
- mögliche Lernfelder zu identifizieren und
- uns weiter zu entwickeln.
Zudem ermöglicht es uns, im Gespräch mit anderen die wechselseitigen Erwartungen zu klären und die (Arbeits-)Beziehung und Zusammenarbeit auf ein solides Fundament zu stellen.
Problem: Mitarbeiter mit einem schwachen Ego
Fakt ist: Fast alle Menschen erhalten lieber eine positive als eine negative Rückmeldung. Aussagen wie „Das haben Sie toll gemacht“ oder „Ich genieße die Zusammenarbeit mit Ihnen“ gehen ihnen „runter wie Butter“ – zumindest wenn sie spüren: Das Lob ist ernst gemeint.
Anders verhält es sich bei kritischen Rückmeldungen wie
- „Ich würde mir von Ihnen zuweilen einen größeren Einsatz wünschen“ oder
- „Mein Eindruck ist, Sie setzen manchmal die Prioritäten falsch“.
Auf solche Rückmeldungen reagieren zwar selbstbewusste Mitarbeiter souverän und fragen zum Beispiel nach:
- „Wann würden Sie sich mehr Einsatz wünschen?“ Oder:
- „Können Sie mir ein, zwei Beispiele nennen für die aus Ihrer Warte falsche Prioritätensetzung?“
Anders ist dies jedoch bei Mitarbeitern mit einem eher schwaches Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein. Sie beziehen eine kritische Rückmeldung, selbst wenn sie völlig korrekt und angemessen formuliert ist, oft auf ihre Person und sehen in ihr eine Art Liebesentzug und persönlichen Angriff – selbst wenn die Rückmeldung sich nur auf gewisse Verhaltensweisen bezieht, die sie zuweilen zeigen.
Kritik wird als persönlicher Angriff erlebt
Entsprechend regieren sie: Verletzt oder bockig, abwehrend oder resignativ – und zuweilen sogar feindselig und aggressiv, weil sie die Aussage als Bedrohung erfahren. Und diese Reaktion erfolgt so reflexartig, dass sie das eigentlich Gesagte nicht mehr hören. Also kommt auch die Botschaft bei ihnen nicht an. Und weil sie aufgrund ihres geringen Selbstwertgefühls die kritische Rückmeldung als persönlichen Angriff erfahren, sehen sie oft nur zwei Möglichkeiten hierauf zu reagieren:
- die Person, die ihnen das Feedback gab, gedanklich abwerten („Was will der Idiot? Was maßt der sich an?) und/oder
- einen Gegenangriff starten und versuchen, den Feedback-Geber ebenfalls zu verletzen – zum Beispiel mit Aussagen wie „Wenn Sie nie klare Ansagen machen, dann ...“ Oder: „Wenn Sie ständig die Ziele ändern, dann ...“
Zugegeben, das sind extreme Mitarbeiterreaktionen – auch weil sich viele Mitarbeiter nicht trauen, ihren Chef, der zugleich ihr disziplinarischer Vorgesetzter ist und über ihre Karriere mitentscheidet, offen zu kritisieren. Deshalb verfallen sie, wenn sie ein Feedback als ungerecht empfinden, meist eher in ein beredtes Schweigen und äußern ihre Kritik anschließend lautstark im Kollegenkreis. Dessen ungeachtet müssen Führungskräfte, in mehr oder minder ausgeprägter Form, wenn sie Mitarbeitern ein negatives Feedback geben, mit solchen Reaktionen rechnen.
Die Feedback-Regeln sehr scharf beachten
Doch wie können Führungskräfte vermeiden, dass, wenn sie einem wenig selbstbewussten Mitarbeiter eine negative Rückmeldung geben, die Situation eskaliert und eventuell emotionale Wunden entstehen, die der weiteren Zusammenarbeit schaden? Die Antwort ist einfach: sehr, sehr genau auf das Einhalten der Feedback-Regeln achten. Denn während selbstbewusste Mitarbeiter, die entsprechend selbstkritisch sind, ein partielles Verletzten dieser Regeln meist verzeihen, nehmen weniger selbstbewusste ihr Nichtbeachten oft als Anlass, das Nicht-Akzeptieren der Kritik gegenüber sich selbst und anderen zu rechtfertigen.
Achten Sie deshalb als Führungskraft, wenn Sie solchen Mitarbeitern ein Feedback geben, besonders scharf auf das Einhalten folgender Regeln:
- Artikulieren Sie persönliche Kritik stets im Vier-Augen-Gespräch, also nie im Beisein Dritter.
- Sorgen Sie für einen passenden Gesprächsrahmen – also zum Beispiel an einem Ort, wo sie ungestört sind.
- Führen Sie das Gespräch nicht zwischen Tür und Angel. Vereinbaren Sie mit dem Mitarbeiter einen Termin, sodass auch er sich vorbereiten kann, und nehmen Sie sich ausreichend Zeit für das Gespräch.
- Sagen Sie dem Mitarbeiter zu Beginn des Gesprächs nochmals, wozu dieses dient: die (Zusammen-)Arbeit in der Vergangenheit reflektieren, die wechselseitigen Erwartungen klären und die Zusammenarbeit auf ein noch solideres Fundament stellen.
- Bringen Sie anschließend nochmals Ihre Wertschätzung für den Mitarbeiter und seine Arbeit (soweit möglich) zum Ausdruck – selbst wenn Sie persönlich das Gefühl haben: Das habe ich ihm schon 100 Mal gesagt. Loben Sie den Mitarbeiter auch für scheinbare Selbstverständlichkeiten, wie dass er morgens stets pünktlich zur Arbeit kommt. Denn diese „Selbstverständlichkeiten“ sind nicht so selbstverständlich, wie sie Führungskräften oft erscheinen.
- Sprechen Sie erst danach die kritischen Verhaltensweisen an. Konzentrieren Sie sich auf die zwei, drei wirklich relevanten Punkte – auch damit beim Mitarbeiter nicht das Gefühl entsteht: „Der hat ja an allem etwas auszusetzen.“
- Achten Sie darauf, dass Ihre Kritik sachlich fundiert ist. Belegen Sie diese anhand konkreter Beispiele aus dem Arbeitsalltag.
- Vermeiden Sie pauschalisierende und generalisierende Aussagen wie „Das machen Sie immer so, ..." Oder: „Bei Ihnen kann man sich nie darauf verlassen, ...“ Denn sie rufen fast automatisch Widerspruch hervor. („Das stimmt nicht! Damals als Sie ..., habe ich ...“).
- Sprechen Sie für sich, und holen Sie nicht andere Personen anonym mit ins Boot („Ihre Kollegen sehen das auch so ..."). Auch dies provoziert Widerspruch. („Wer behauptet das? Diese Unterstellung lasse ich nicht auf mir sitzen.“) Zudem können Sie sich auf Äußerungen von Dritten, sofern sie sich nicht mit Ihren Beobachtungen decken, oft nicht verlassen.
- Kennzeichnen Sie Ihre Kritik als Ihren Standpunkt, Ihre Wahrnehmung, Ihre Interpretation der Dinge, die der Mitarbeiter selbstverständlich anders sehen und bewerten kann. Signalisieren Sie Ihre Gesprächsbereitschaft hierüber („Wie sehen Sie das?“, „Nehmen Sie das auch so wahr?“).
- Machen Sie jedoch zugleich deutlich, dass die bei der Arbeit zu erreichenden Ziele nicht diskutabel sind.
- Bleiben Sie, auch wenn Sie gewisse Reaktionen des Mitarbeiters oder seine Begriffsstutzigkeit nerven, immer wertschätzend in Ihren Aussagen.
- Machen Sie keine Aussagen, die die ganze Person in Frage stellen („Dazu sind Sie nicht in der Lage ...", „Das ist typisch für Sie ...“), sondern beziehen Sie diese stets auf das kritikwürdige Verhalten.
- Vermeiden Sie „Du-Botschaften", denn diese werden oft als Angriff oder Vorwurf empfunden. Sprechen Sie stattdessen über Ihre Wahrnehmung („Ich-Botschaften“). Sagen Sie also zum Beispiel nicht: „Sie hören mir nicht zu." Sagen Sie stattdessen: „Ich habe das Gefühl, Sie hören mir gerade nicht konzentriert zu.“ Oder noch besser: „Ich habe das Gefühl, Sie beschäftigen im Moment noch andere Dinge. Das erschwert es Ihnen, sich zu konzentrieren. Trifft das zu?“ Denn angenommen, der Mitarbeiter antwortet: „Ja, ich ...“ Dann rutschen Sie sozusagen automatisch in ein Gespräch mit dem Mitarbeiter über die Ursachen des „Problems“. Dies zu erreichen, ist ein zentrales Ziel aller Feedbackgespräche – weshalb sie ja auch Feedback-Gespräche und nicht Feedback-Monologe heißen.
Das eigene Führungsverhalten hinterfragen
Und noch ein Tipp: Wie Mitarbeiter auf Ihre kritische Rückmeldung reagieren, sagt meist auch etwas über Ihre Beziehung zu Ihren Mitarbeitern aus. Fragen Sie sich deshalb, wenn ein Mitarbeiter sehr bockig oder ablehnend auf Ihre Aussagen reagiert, obwohl Sie diese angemessen formuliert haben: Welche Fehler habe ich in der Vergangenheit eventuell gemacht, oder was habe ich versäumt, sodass der Mitarbeiter so reagiert – zum Beispiel:
- Nahm ich mir zu wenig Zeit für den Mitarbeiter? Suchte ich zu selten das Gespräch mit ihm?
- Ließ ich ihn mit seinen Aufgaben allein? Gewährte ich ihm zu wenig Unterstützung?
- Habe ich das von ihm Geleistete nicht ausreichend gewürdigt? Monetär, verbal oder emotional?
- Vermittelte ich ihm das Gefühl, er werde nur als Arbeitskraft und nicht auch als Mensch wahrgenommen?
Das können Sie den Mitarbeiter übrigens auch direkt fragen. Zum Beispiel mit den Worten: „Ich habe den Eindruck, dass Sie auf meine Rückmeldung eher reserviert reagieren. Trifft das zu?“ Angenommen der Mitarbeiter antwortet: „Ja“. Dann sollten Sie weiterfragen: „Warum?“ Denn dann landen Sie sozusagen automatisch in einem Gespräch mit Ihrem Mitarbeiter darüber, was ihre (Arbeits-)Beziehung belastet und können diese wieder auf eine gesunde Basis stellen.
Christina Seitter
Zur Autorin: Christina Seitter arbeitet als Trainerin und Beraterin für die Managementberatung Müllerschön, Starzeln bei Tübingen (www.muellerschoen-beratung.de). Sie ist auf das Themenfeld Personalauswahl, -diagnostik und -entwicklung spezialisiert.