Der Aachen Building Experts e. V. (ABE), ein interdisziplinäres Kompetenznetzwerk für innovatives Bauen, hatte für den 10. und 11. September in die Kaiserstadt geladen. Die deutsche Immobilienbranche hinkt der Digitalisierung 20 Jahre hinterher, beschreibt Dirk Otto, Geschäftsführer der Gegenbauer Facility Management GmbH, die enorme Aufgabe, vor welcher der Wirtschaftszweig steht.
Zur Premiere der Smart Building Convention zog es 70 Besucher nach Aachen. Insgesamt kamen mehr als 150 Entscheider zum ZukunftsDialog BAU. Unter diesem Dach fand die Smart Building Convention parallel mit der BIMconvention, die durch das competence center BIM (ccBIM) veranstaltet wurde, statt. Dieses Konzept bot den Teilnehmern die Gelegenheit, zwischen den Konferenzen zu wechseln und sich mit Besuchern beider Fachkonferenzen auszutauschen.
Intensiver Austausch über komplexe Themen
Die Beschäftigung mit Smart Building bedingt unter anderem die Auseinandersetzung mit Aspekten wie Modulares Bauen, Industrie 4.0, Bauen on Demand, Internet of Things, Sensorik, Power over Ethernet (PoE), digitale Transformation, Blockchain, Big Data, Cyber Crime und Cyber Security sowie Künstliche Intelligenz (KI). Denn im Smart Building werden die intelligenten Komponenten der TGA miteinander vernetzt.
Pilotprojekte vermitteln Nutzen
Dr. Markus Ewert, Leiter Technische Gebäudeausrüstung bei der nesseler plan gmbh in Aachen, sprach zum Thema BIM in der TGA und Smart Building aus der Sicht eines Generalunternehmers. Smart Building habe derzeit noch eine geringe Bedeutung bei Investoren und bei den Anforderungen der Nutzer. Es gelte, den Bauherren den Nutzen der innovativen Gebäudetechnik und deren Vernetzung stärker zu vermitteln. Hierfür seien Referenzprojekte entscheidend. Diese zeigen die Möglichkeiten von Smart Building.
Ein Anwendungsbeispiel bildet die intelligente Steuerung von Klimatechnik, Beleuchtung, Aufzügen und des Zugangs zu Büroetagen mit Hilfe von Sensortechnik. Statt mit einem Schlüssel werden in einem Smart Building Türen per Smartphone, Sprachsteuerung oder Funktaster geöffnet (Keyless Entry). Zu diesem Zweck übertragen Sensoren spezifische Rauminformationen z. B. an mobile Endgeräte der Mitarbeiter. Diese können dann u. a. komfortabel die Raumtemperatur an ihren Arbeitsplätzen regeln.
Mittelstand beobachtet Entwicklungen
Gerade kleinere und mittlere Unternehmen schrecken vor der Investition in Smart-Building-Technologie häufig noch zurück. Oft fehlt vor allem die Zeit, sich intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Jürgen Reinecke vertritt als Abteilungsleiter Planung L bei Theodor Mahr Söhne GmbH in Aachen eine ausführende Firma des Anlagenbaus im Bereich Klima, Heizung und Lüftungstechnik: Wir müssen aufmerksam sein, was sich an neuen Entwicklungen tut und wollen uns hier über den Stand der Technik informieren. Wir möchten uns strategisch auf das, was kommt, einrichten und schauen, welche Programme für uns am besten geeignet sind, damit wir nicht das Verkehrte auswählen. Wir können nicht so nebenbei ins Thema kommen. Für mittelständische Unternehmen bedeutet dies einen Klimmzug.
Hohe Einsparpotenziale bei Kupfer, Kabel und Strom
Die Investition in innovative Gebäudetechnik rechnet sich früher als mancher Bauherr annimmt, so Thomas Simon, Geschäftsführender Gesellschafter ComConsult Beratung und Planung GmbH in seinem Vortrag Vom Eternit zum Ethernet Digitalisierung und Sicherheit moderner Gebäude. Einsparen lassen sich Kupfer, Kabel und Strom. Kilometerweise werden in modernen Bürogebäuden Leitungen zur Steuerung der Beleuchtung und anderer Gebäudetechnik verlegt. Dies stellt einen enormen Kostenfaktor bei der Errichtung neuer Gebäude dar.
Im Betrieb ist die Elektroinstallation später nur sehr aufwendig zu ändern.
Wird die Beleuchtung über das Smartphone, Sprachsteuerung oder Funktaster bedient, braucht es keine Lichtschalter mehr, sagt auch Dr. Markus Ewert. Strom kommt im Smart Building mit Power over Ethernet (PoE) nicht mehr aus der Steckdose. Dies wirft die Frage auf, ob ein Gebäude überhaupt noch Kabel für die Beleuchtung benötige. Diese Aufgabe können Datenkabel mit übernehmen. PoE liefert bis zu 100 Watt Leistung, ausreichend für einen Arbeitsplatz. Der Betreiber spart hierdurch Strom.
Eine intelligente Parkraumbewirtschaftung eröffnet gar die Möglichkeit, durch die Vermietung freier Parkplätze Geld zu verdienen, ergänzt Frank Kamping, Associate Partner und Geschäftsführer bei Drees & Sommer Advanced Building Technologies GmbH, im seinem Referat Notwendige Ansätze zur qualitativ hochwertigen TGA-Planung von intelligenten Gebäuden weitere Vorzüge eines Smart Buildings.
WLAN und Parkraum-Management
Laut Thomas Simon könne man heute gar nicht mehr ohne WLAN und Parkraum-Management bauen. Bei den neuen Formen der Zusammenarbeit sei schnelle Informations- und Medientechnik für die Demonstration der Arbeitsergebnisse ein zentraler Faktor. Daten liegen in der modernen Arbeitswelt nicht mehr auf dem Endgerät, sondern in der Cloud. Das Endgerät ist mobil. Cloud-Applikationen ermöglichen ein Outsourcing der IT-Infrastruktur, skalierbare Lösungen und ersparen teure Hardware. Bei einem Gebäude könne dies mehrere 100.000 Euro ausmachen.
Das Thema Fassadentechnik, besonders die Schnittstellenproblematik von Metallbau/Fassadenbau und Smart Building interessiert mich ganz besonders, berichtet Markus Schultz, Geschäftsführer des Ingenieurbüros Markus Schultz GmbH in Stolberg. Ein Aspekt dabei: Die Fassade kann den Empfang des Mobilfunknetzes behindern. Für eine einwandfrei funktionierende Mobiltechnik sollte ein Gebäude daher über eigene Mobiltechnik verfügen.
Gebäudeleittechnik benötigt Platz, pro Etage einen großen Raum. Die Digitalisierung am Bau führt auch dazu, dass die Errichtung lokaler Datenzentren wieder im Trend ist. Edge Datencenter wandern zurück zum Kunden. Das hat seinen Grund darin, dass eine digitalisierte Immobilie nahe an einem Rechenzentrum liegen sollte, weil es sich teilweise um entfernungssensible Datenübertragungsraten handelt.
Dr. Markus Ewert berichtet, dass nesseler grünzig auch auf seinen Baustellen ein WLAN-Netz einrichte, damit das firmeneigene, App-basierte mobile Prüf- und Qualitätsmanagementsystem nQ verlässlich eingesetzt werden könne. Deren Funktionsweise präsentierte Ewert auf der Smart Building Convention.
Standardisierte Grundausstattung für Gebäude erforderlich
Die Erwartungen der Bauherren unterscheiden sich stark je nach Anwendungsgebiet: Ein Geschäftsgebäude für Gastronomie muss zum Beispiel ganz andere Anforderungen erfüllen als ein Coworking-Space für Startups. Frank Schnitzler, Expertenteam Information and Communication Technology (ICT) bei Drees & Sommer in Aachen, spricht in seinem Vortrag Was macht eine Smart Commercial Building aus? von Real Estate Userbility, denn ein Smart Commercial Building unterstützt Geschäftsprozesse.
Auf dem Markt ist eine Menge in Bewegung. Es gibt bereits viele Prototypen, sodass mehrere Referenten darauf hinwiesen, dass eine Standardisierung beginnen könne. Die Methodenkompetenz dafür sei vorhanden, ob Parkplatz-Management, Indoor Navigation, Zutrittskontrolle, Packstation, Roombooking etc. Thomas Simon fordert Wir müssen zu einer standardisierten Grundausstattung für Gebäude kommen!
Ganzheitlich Beratungs- und Planungskompetenz
Die Fachvorträge und Diskussionen verdeutlichten: Digitalisierung am Bau erfordert ganz neue Projektbeteiligte: Unter anderem BIM-Manager, ICT-Digitalisierungsexperten, Experten für Cyber Security, technisches Risikomanagement, strategische Prozessberatung und Infrastrukturberatung. Bei der Beratung der Bauherren sei ganzheitliche Beratung und Planungskompetenz erforderlich. Diese müsse sowohl den traditionellen Part als auch den innovativen Part abdecken.
Dies kann René Kögler, Projektmanager Technisches Projektcontrolling bei der BMP Baumanagement GmbH in Köln, bestätigen: Wir werden von den Bauherren gefragt: Sollen wir das machen? Die Informationen hier unterstützen uns bei der firmeninternen Meinungsbildung, ob und wie wir thematisch tiefer einsteigen können. Es ist wichtig zu sehen, wie das andere Firmen handhaben.
TGA benötigt darüber hinaus entsprechend ausgebildete Bauleiterund ein Inbetriebnahme-Management für die Technik. Mit innovativer Gebäudetechnik müssen sich zudem die IT- und IP-Leute der Kunden auseinandersetzen.
Studiengang Smart Building Engineering
Die Aachener wollen hier mit dem gerade an der FH Aachen neu gestarteten Studiengang Smart Building Engineering (SBE) eine Lücke schließen. Planer, Bauunternehmen, Zulieferer und Gebäudetechniker benötigen diese Fachleute dringend. Prof. Dr. Bernd Döring und Prof. Dr. Rolf Groß stellten auf der Smart Building Convention persönlich Inhalt und Aufbau des neuen Studiengangs vor. Die Anfang 2017 aus dem ABE-Mitgliederkreis hervorgegangene Stiftung Smart Building unterstützt den SBE-Studiengang finanziell. Döring und Groß zeigten dessen starke Praxisorientierung, unter anderem sind im 5. und 6. Semester integrale Projekte vorgesehen, bei denen die Studierenden viel Zeit in Unternehmen verbringen. Darüber hinaus erörterte Groß die Möglichkeiten und Grenzen für die Forschung an Fachhochschulen sowie bestehende Förderprogramme, auch mit Beteiligung von Unternehmen.
Kleine Unternehmen als Innovationstreiber
Tobias Ell, Vorstand der Carpus+Partner AG in Aachen, betonte in seiner Begrüßungsansprache zum ZukunftsDialog BAU, dass Gebäude kein Selbstzweck seien: Wir wollen, dass sie Menschen erfolgreicher machen!. Marktführer werde heutzutage derjenige, der die besten Innovationen am schnellsten umsetze. Innovationen kämen inzwischen vor allem von kleinen Unternehmen.
Zwei Beispiele lieferten die Referenten der Startup-Session: Unter diesem Programmpunkt präsentierte Dr. Johannes Fütterer, Gründer und Geschäftsführer der Aachener aedifion GmbH seine Ideen zur Optimierung von Gebäudeautomationssystemen. Aedifion hat eine Cloud-Plattform für Gebäudetechnik entwickelt, die höchsten Sicherheitsanforderungen gerecht wird. Maaged Mazyek, Gründer und Geschäftsführer von WEGZWEI, Aachen, stellte eine App zur Indoornavigation vor. Diese ermöglicht es Anwendern unter anderem, sich in und zwischen großen und unübersichtlichen Gebäudekomplexen zurechtzufinden.
Nicht mit Funktionen überladen
Und die Bauherren? Lassen sie sich für die neuen Möglichkeiten begeistern? Wiederholt wiesen Referenten darauf hin, dass man beim Kunden vom Nutzen her argumentieren müsse. Ein Bauherr will nicht bauen, er will das Gebäude nutzen, unterstreicht Dr. Bernhard Frohn, Vorstand der BOB efficiency design AG in Aachen, im Vortrag Mit der multi-sided Plattform BOB alle Phasen eines Gebäudezyklus digitalisieren und verbinden. Er betont, dass Digitalisierung kein Showinstrument sei, daher sollte man digitalisierte Gebäude auch nicht mit Funktionen überladen. Es sei wichtig, dass die Grundfunktionen reibungslos ablaufen, etwa die Heizungsregulierung.
Bei der Frage nach der potenziellen Überforderung der Anwender vergleicht Frank Schnitzler das empfohlene Herangehen an die TGA mit einem Marathon. Auch hier beginne man mit kleinen Trainingseinheiten. Um den richtigen Einstieg zu finden, müsse sich jeder Anwender fragen: Was will ich und wie setze ich das um?
Die Frage laute nicht, ob sich Smart Building durchsetze, sondern wann. Markus Ewert geht davon aus, dass Smart Building in zehn Jahren fester Bestandteil von Gebäuden sein werde. Es gebe ausreichend Pilotprojekte, die den Bauherren den Nutzen beweisen. Sei dieser Beweis erst erbracht, spiele der Preis keine zentrale Rolle mehr, weil der Endkunde und Nutzer des Gebäudes diese Lösungen dann haben wolle. (RM)