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Wärmetransport extrem: Tyfocor 38 km über der Arktis

Kurz vor dem Weltraum

Langsam hebt sich der Stratosphären-Ballon in den schwedischen Morgenhimmel. Beste Bedingungen, um in den kommenden Tagen leuchtende Nachtwolken zu beobachten. Diese, auch Eiswolken genannten Phänomene, entstehen im Sommer in hohen Breiten, sobald genügend Wasserdampf vorhanden ist und die Temperatur unter den Frostpunkt fällt. Der liegt in der Höhe der Sommermesopause, dem kältesten Punkt in der Erdatmosphäre in ungefähr 85 km Höhe, bei etwa -120 °C. Fünf Tage wird der Ballon unterwegs sein, meist in einer Flughöhe von 38 km, – über das Europäische Nordmeer, Grönland und die Davisstraße bis zur Landung auf der kanadischen Insel Baffin Island. In so großer Höhe erscheint der Himmel schwarz und bietet damit optimale Beobachtungsbedingungen für optische Instrumente.

Der Ballon driftet mit dem Wind Richtung Westen. An Tag Zwei ist es dann über Grönland soweit: Silbrig-weiß schimmern die polaren mesosphärischen Wolken (englisch: Polar Mesospheric Clouds –PMC–) an der Grenze zum Weltraum. Leuchtende Nachtwolken entstehen aus Eisteilchen, welche auf winzigen Meteorstaub-Partikeln in der oberen Atmosphäre kondensieren. Sie können im Sommer vom Rand der Polarregionen bis hin nach Norddeutschland kurz nach Sonnenuntergang vom Boden aus gesehen werden.

Die NASA beobachtet mit Kameras

„Beobachtungen von leuchtenden Nachtwolken sind von großem wissenschaftlichen Interesse, da die Eiswolken unter bestimmten Voraussetzungen als Tracer für Luftmassen fungieren und mit hochauflösenden Messungen der Wolkenhöhe beispielsweise kleinskalige Luftbewegungen sichtbar gemacht werden können“, erklärt Dr. Bernd Kaifler vom Institut für Physik der Atmosphäre beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR). „Daraus lassen sich Rückschlüsse auf die Dynamik der Atmosphäre in diesem ansonsten für wissenschaftliche Untersuchungen eher unzugänglichen Höhenbereich ziehen.“ An Bord der PMC-Turbo-Nutzlast befanden sich sieben hochauflösende Kameras der NASA mit weiten und schmalen Sichtfeldern, um die räumliche Struktur der leuchtenden Nachtwolken zu erfassen. Sie nehmen rund sechs Millionen hochauflösende Bilder mit einem Datenvolumen von 120 Terabyte auf, wobei die meisten Bilder PMCs in verschiedenen Stadien zeigen. Unter anderem lassen diese Bilder Prozesse erkennen, die zu Turbulenz führen.

DLR sendet Laserimpulse mit einem Lidar

Das DLR nutzte die Mission für eine Pre­miere, erstmals flog ein Lidar auf einem Stratosphären-Ballon. Ein Lidar (Light Detecting and Ranging) ist ein Messinstrument zur Fernerkundung von Erdoberfläche und Erdatmosphäre. Das Lidar sendet Laserpulse zu den leuchtenden Nachtwolken. Die zurückgestreuten Photonen erlauben eine präzise Vermessung der vertikalen Struktur der Wolken. So werden zum Beispiel schwach leuchtende Eisschichten von mehr als fünf Kilometern Dicke, oder sehr dünne, helle Schichten von nur hundert Metern Dicke sichtbar, teilweise in mehreren Lagen übereinander. Durch die langsame Bewegung des Ballons wird die räumliche Entwicklung dieser Schichten abgebildet. „Wir kennen die 2D-Struktur der Wolken von den Kamerabildern, aber um die Wellen in den Wolken wirklich genau beschreiben zu können, benötigen wir auch die Höheninformation“, sagt Dr. Kaifler, der das Ballon-Lidarexperiment entwickelte. „Mit den Lidarmessungen können wir die vertikale Struktur der Wellen sichtbar machen und damit wertvolle Daten sammeln, die man aus den Bildern allein nicht hätte ableiten können.“ Bisher wurden ähnliche Instrumente nur am Boden eingesetzt. In einer Flughöhe von 38 km befindet sich das Ballonlidar hingegen schon fast auf halber Strecke zu den Wolken, sodass Signalqualität und damit die Auflösung wesentlich höher sind. „Das Ballonlidar ist damit fast ein Satellitenexperiment, allerdings mit einem viel kleineren Budget“, so Dr. Kaifler.

Eiswolkenaufnahme von der ISS

Bild: NASA

Eiswolkenaufnahme von der ISS

Tyfocor LS Arctic transportiert Abwärme

Die Entwicklung eines kleinen und leichten Lidar-Instruments für den Einsatz in einer Ballongondel war nicht einfach. Aufgrund der dünnen Luft in der großen Flughöhe mussten Laser, Detektoren und Elektronik in einen Druckbehälter eingebaut werden. Zudem erforderte die Kühlung des Lasers und der Elektronik die Entwicklung eines großen Radiators zu Abstrahlung der Wärme in den Weltraum, da nicht genügend Luft zur Kühlung vorhanden war. Daher wurde das Kühlsystem bestehend aus Tank, Pumpe, Kühlplatte und Radiator mit 6 kg Kühlmittel befüllt. Dr. Kaifler und seine Kollegen vertrauten diesen hochsensiblen Job dem Kühlmittel Tyfocor LS Arctic der Hamburger Firma Tyforop Chemie GmbH an. Die Aufgabe von Tyfocor LS Arctic war es, die erzeugte Abwärme aus dem Druckbehälter heraus zu transportieren und über einen externen Radiator in den Weltraum abzugeben. „Eine wesentliche Anforderung seitens der amerikanischen Weltraumbehörde NASA war, dass von dem verwendeten Kühlmittel keine Gefahr für die Umwelt und Personen im Falle eines Austritts des Kühlmittels ausgehen durfte“, erklärt Dr. Kaifler einen der Gründe für die Wahl von Tyfocor LS Arctic. Schließlich wurde es auf Basis einer wässrigen Lösung des nicht gesundheitsschädlichen Propylenglykols entwickelt und ist leicht biologisch abbaubar.

Kälte- und Korrosionsschutz bis -47°C

„Tyfocor LS Arctic ermöglicht als gebrauchsfertige Spezial-Wärmeträgerflüssigkeit Kälteschutz bis -47 °C“, spezifiziert Dr. Marco Bergemann, Leiter Marketing und Vertrieb bei Tyfo. „Das Medium wurde von uns speziell für den Einsatz in Solaranlagen mit hoher thermischer Belastung entwickelt, deren Standorte sich in extrem kalten Regionen befinden.“ Die im Kühlsystem des Lidars verwendeten Bauelemente, die direkt mit dem Kühlmittel in Kontakt kommen, wie z. B. die Kühlplatte und Rohre, sind aus Edelstahl, aber auch aus anderen Metall­legierungen, gefertigt. „Der Gehalt an Korrosionsinhibitoren im Tyfocor LS Arctic schützt die verschiedenen Metallwerkstoffe auch bei einer Mischinstallation lange und zuverlässig vor Korrosion, Alterung und Inkrustierung. Es hält die Wärmeübertragungsflächen sauber und sichert so einen gleichbleibend hohen Wirkungsgrad“, erklärt Dr. Bergemann

Besseres Verständnis von Turbulenz

„Mithilfe der Ergebnisse dieser Mission werden wir Turbulenz in der Atmosphäre, aber auch in Ozeanen, Seen und anderen Planetenatmosphären besser verstehen und vielleicht sogar Wettervorhersagen verbessern“, hofft Dr. Bernd Kaifler. „Das Verständnis der Ursachen und Wirkungen von Turbulenz hilft uns Wissenschaftlern nicht nur die Struktur und Variabilität der oberen Atmosphäre zu verstehen. Turbulenz tritt in allen Fluiden im Universum auf und die Ergebnisse werden die Modellierung all dieser Systeme verbessern. Dies gilt natürlich auch für die irdische Wettervorhersage.“

Nach fünf Tagen wurde bei Missionsende die Nutzlast mittels eines pyrotechnisch betriebenen Messers, welches die tragenden Stahlseile durchschneidet, vom Ballon abgetrennt. Während des Abtrennvorgangs riss ein Seil die Ballonhülle auf der Seite auf, sodass das Helium entweichen konnte. Die Ballonhülle fiel ungebremst zu Boden, während die Nutzlast am Fallschirm mit einer Vertikalgeschwindigkeit von etwa 7 m/s vergleichsweise sanft in der kanadischen Arktis aufsetzte. Die Instrumente werden zum Teil wiederverwendet und in zukünftigen Missionen eingesetzt – dann ist Tyfocor LS Arctic mit Sicherheit wieder zum Wärmetransport an Bord.

Die am Startfahrzeug hängende Ballongondel

Bild: DLR (CC-BY 3.0)

Die am Startfahrzeug hängende Ballongondel

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