Die Hottinger Baldwin Messtechnik GmbH in Darmstadt, kurz HBM, ist seit 1950 weltweiter Marktführer bei der Herstellung international unerreicht genauer Messtechnik für innovative Produkte. Dehnungsmessstreifen, die bei Dehnung oder Stauchung den elektrischen Widerstand verändern, liegen der Messgenauigkeit zugrunde. Das Einsatzgebiet der Produkte von HBM ist äußerst vielfältig und betrifft meist sehr diffizile Apparate, aber auch tägliche Gebrauchsartikel. Sie kommen bei der Dehnungsmessung an Maschinen, Bauteilen, Gebäuden, Druckbehältern und Holzkonstruktionen ebenso zum Einsatz wie in der Automobilbranche, der Luft- und Raumfahrt und der gesamten Messkette virtueller und physikalischer Tests und Prüfungen. Deshalb ist die Produktion dieser äußerst empfindlichen Teile sehr heikel. Die Atmosphäre in den Produktionshallen spielt dabei eine entscheidende Rolle und unterliegt exakter Kontrolle. Winters wie sommers sind genau geregelte Heizung ebenso Bedingung wie zuverlässige Kühlung und Feuchtigkeitskonstanz.
Eine direkte Dampfleitung vom benachbarten Müllkraftwerk zum Betriebsgelände in Darmstadt sichert die Wärmeversorgung des Werkes ganzjährig. Dieser Vorteil wurde schon lange über eine Dampfzentrale im Produktionsgebäude für die Heizung der Gebäude genutzt. Im Rahmen der Produktionserweiterung entsprachen aber weder Produktionsgebäude noch Dampfzentrale dem aktuellen Bedarf, zumal durch die immer heißeren Sommer auch Kühlung immer wichtiger wurde.
Die technische Betriebsleitung von HBM in Zusammenarbeit mit der Ingenieurgesellschaft Fischerconsult aus Bad Nauheim plante deshalb ein neues Produktionsgebäude mit neuester Gebäudetechnik, das sämtlichen Anforderungen der diffizilen Produktion und den sich verändernden Klimabedingungen auch in Zukunft genügen soll. Die Verantwortlichen entschlossen sich zu modernsten energiesparenden Anlagen im gesamten Bereich Heizung, Lüftung, Kühlung, und planten auch eine Redundanz bei technischen Systemen für Notfälle ein. Eine weitere Herausforderung war dabei nicht nur die Einhaltung zeitlicher Vorgaben für die Errichtung des Neubaus anstelle des Altbaus, sondern auch die Budgeteinhaltung, was unter dem Druck der Anforderungen alles sehr gut gelang.
Im neuen Produktionsgebäude übertragen nun zwei energieeffiziente, stehende Dampf-Wasser-Übergabestationen von Baelz mit je 1 200 kW Leistung die Wärme des ankommenden Dampfes auf Wasser (Bild 1). 90 °C heißes Wasser steht für Heizung und Warmwasser zur Verfügung. Der Mantel der Wärmeübertrager besteht aus Stahl; in seinem Inneren verlaufen gewendelte Rohre aus leitfähigem Kupfer, die eine größtmögliche Wärmeübertragung bei geringem Platzbedarf gewährleisten. Es handelt sich dabei um ein geschlossenes Dampf-Kondensat-System (1), in dem der heiße Dampf in den Apparat strömt und in den Rohren kondensiert. Die Dampfenergie wird so optimal ausgenutzt. Die sekundärseitige Vorlauftemperatur wird stetig über ein Kondensatventil geregelt; durch dieses wird das Kondensat im Wärmeübertrager, abhängig von der Leistungsanforderung, von 0 bis 100 Prozent angestaut. Das mit ca. 75 °C anfallende Kondensat wird mittels des vorhandenen Dampfdrucks anschließend weiteren Anwendungen zugeführt.
Das komplette Kondensat, das noch Wärmeenergie in Form von 75 °C heißem Wasser enthält und eigentlich Abfallprodukt ist, wird hier ausgenutzt um Kälte zu erzeugen. Denn Produktionsprozesse und Produktionsräume brauchen Kühlung. Deshalb sind auch zwei Absorptionskälteanlagen Teil der modernen Gebäudetechnik (Bild 2). Um den Wirkungsgrad der Baelz Absorptionskälteanlagen (AKA), genannt Hummel (2), zu gewährleisten, wird das Kondensat mittels Nacherhitzer erwärmt. Damit lassen sich die zwei AKAs mit zusammen 320 kW Leistung antreiben. Außer dem Produktionsbereich, der ganzjährig gekühlt werden muss, kühlen sie auch Büro- und Lagerräume und tragen so zu angenehmen Arbeitsbedingungen in heißen Sommermonaten bei (3).
Das kalte Wasser, das Temperaturen von 16 bis 19 °C erreicht, wird für Bodenkühlung sowie für Kühldecken in den Räumen genutzt. Über die Lüftungsanlagen wird mit dem Kaltwasser ein Temperaturbereich von 8 bis 14 °C erreicht. Für Spitzenbedarf bei Kälte sind zusätzlich Kompressionskältemaschinen vorgesehen.
Die Abwärme der AKA von 65 °C/34 °C wird außerdem zur Heizungsunterstützung über Niedertemperaturverteiler verwendet und überschüssige Wärme über einen Rückkühler abgeführt. Die zahlreichen Rohre, in denen Heißwasser und Kaltwasser fließen, und zusätzliche Matten in den Decken, in denen das unterschiedlich temperierte Wasser zirkuliert, tragen als Betonkernaktivierung ebenfalls zu Erwärmung oder Kühlung bei und damit zu einer enormen Energieeffizienz bei der Ausnutzung der Wärmeenergie des Dampfes. Die Rücklauftemperatur zum Müllkraftwerk ist entsprechend tief.
Die AKA erhält als zusätzliche Antriebsenergie das 75 °C heiße Kondensat aus dem dampfbetriebenen Reindampferzeuger, der für die Klimatisierung der Produktionsstätte zuständig ist. Entsprechend aufbereitetes Speisewasser wird dort so weit erhitzt, dass Reindampf mit dem gewünschten Druck und entsprechendem Reinheitsgrad zur Verfügung steht. Das Baelz Luftbefeuchtungssystem (Steam Terminal®) sorgt in den Produktionsräumen für konstante, genau geregelte relative Luftfeuchtigkeit, die ebenfalls Voraussetzung optimaler Produktionsbedingungen ist (Bild 3).
Weitere TGA-Bestandteile wie Hocheffizienzpumpen, Strahlpumpen, Wärme- und Kältespeicher sowie effektive Dampferzeuger mit Wärmerückgewinnung und energiesparende Rückspeiseanlagen runden den komplexen, aber dadurch sehr effizienten Aufbau der kompletten Technischen Gebäudeausrüstung ab.
Der Vergleich der jährlichen Kosten von AKA und von Kompressionskältemaschinen ergab eine Einsparung an Stromkosten inklusive Wartung und Instandhaltung von 23 000 Euro. Das entspricht einer Einsparung von 11,8 Tonnen CO2 jedes Jahr. Obwohl die Investitionskosten der AKA + Rückkühler um einiges höher waren als die für die entsprechende Kompressionstechnik, ergab sich durch die Energieeinsparung bei den gesamten Kosten eine jährliche Einsparung von ca. 20 000 Euro.
Fazit
Bei der Nutzung des Dampfes wurde durch die hochmoderne Gebäudetechnik, wie sie im neuen Produktionsgebäude von HBM verbaut ist, eine enorme Effizienz-Steigerung erreicht. Selbst wenn die für das alte und das neue Produktionsgebäude verbrauchte Energiemenge gleich geblieben ist, wurde sie für eine wesentlich größere Zahl an Quadratmetern eingesetzt.
Das neue Produktionsgebäude ist nun mit bestmöglicher Gebäudetechnik ausgestattet, um auch bei großer sommerlicher Hitze eine optimale Produktion zu ermöglichen. Dem für die Planung verantwortlichen Team ist es gelungen, den Abriss des alten Gebäudes und den Neubau an gleicher Stelle in kürzester Zeit und unter Einhaltung des Kostenlimits zu bewältigen. Die Effizienz von Heizung, Lüftung und Kühlung steigerte sich so, dass trotz einer deutlichen Vergrößerung der Produktions- und Büroflächen im laufenden Betrieb heute nicht mehr Energie verbraucht wird.
www.hbm.com
www.fischer-tgaconsult.eu
www.baelz.de
Literatur