Kühlen ist in Ställen extrem wichtig, da neben der Entstehung und Ausbreitung von Krankheiten unter extremen Hitzebedingungen die Tiere sterben können. So musste die Feuerwehr in der Vergangenheit zum Beispiel im Landkreis Verden ausrücken, um Ställe zu kühlen, damit es zu keinem Massensterben kommt. Aber auch wirtschaftliche Erwägungen der Landwirte wie eine Gewichtszunahme von Mastgeflügel können durch erhöhte Temperaturen negativ beeinflusst werden. Die hierdurch zu erwartenden Kosten können durch die Nutzung von Abwärme aus BHKW-Anlagen für die Kühlung und Klimatisierung der Ställe gemindert oder sogar ganz vermieden werden.
Das Kühlen-mit-Wärme-Prinzip
Der anfallende Putenmist aus den Mastställen wird zusammen mit Maissillage in einer Biogasanlage verwertet. Diese befindetsich auf dem Betriebsgelände und wurde zusammen von Heinrich Siemering und vier weiteren Landwirten errichtet. Das anfallende Biogas wird über eine Rohgasleitung zu einem Blockheizkraftwerk (BHKW) geführt und dort in Strom und Wärme umgewandelt. Der Strom wird in das Netz des örtlichen Versorgers eingespeist, mit der Abwärme werden im Winter die Gärbehälter, Ställe und Wohngebäude beheizt. Im Sommer wird die überschüssige Wärme zukünftig nicht mehr ungenutzt an die Umgebungsluft abgegeben, sondern mit- hilfe einer Absorptionskälteanlage direkt für die Kühlung der Ställe verwendet. Die Kälteanlage erzeugt aus der Abwärme Kaltwasser, mit dem die Kühlregister betrieben werden, die die Zuluft in die Ställe abkühlt.Die Anlage hat die ersten Hitzewellen im Juli und August gemeistert. Trotz Außentemperaturen von über 30 °C konnte ich ein deutlich gesteigertes Wohlbefinden bei den Puten im klimatisierten Stall beobachten, berichtet Landwirt Siemering stolz. Dieses Prinzip erspart den zusätzlichen Einsatz von teurem Strom, ermöglicht eine bessere Ausnutzung des BHKWs und führt durch die Vermeidung elektrisch getriebener Kühltechnologien zu einer Entlastung des Stromnetzes, erklärt Jörg Meyer, Geschäftsführer der Kälteanlagen Meyer GmbH. Das Projekt wurde mit 187381 Euro durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen von nordwest2050 Perspektiven für klimaangepasste Innovationsprozesse gefördert. Der Eigenanteil des Landwirts beträgt 45000 Euro.
Übertragbarkeit
Durch den Umbau der Energieversorgungsstrukturen mit einem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien wird die Energieversorgung in Zukunft dezentraler, erläutert Dr. Stefan Gößling-Reisemann, Projektleiterim Energie-Cluster von nordwest2050 an der Universität Bremen. Kühlung und Klimatisierung durch Absorptionskälteanlagen, die ihre Antriebsenergie aus der Restwärme solcher dezentralen Anlagen beziehen, sind für diverse Aufgaben in landwirtschaftlichen Betrieben und im Ernährungssektor einsetzbar. Besonders interessant scheinen hier beispielsweise Betriebe aus dem Obstanbau, die ihre Früchte sehr lange Zeit in Lagerhäusern kühlen, oder auch andere Nahrungsmittelverarbeiter, die sich in der Nähe von geeigneten Abwärmequellen befinden. Die Anwendung der Kühltechnologie im Rahmen von Intensivlandwirtschaft muss grundsätzlich unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit kritisch diskutiert werden, aber sie ist eine kurzfristig verfügbare Anpassungsmaßnahme für ein aktuelles Problem und eine vor allem auch unter Gesichtspunkten des Tierwohls zu vertretende Maßnahme. Die Wirkung dieser Maßnahme auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Tiere wird gesondert untersucht werden.
nordwest2050 ist eines von insgesamt sieben Forschungsvorhaben, die im Rahmen des Programms Klimawandel in Regionen zukunftsfähig gestalten (KLIMZUG) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert werden. Ziel der Anpassungsforschung unter KLIMZUG ist es, dazu beizutragen, dass in Regionen die zu erwartenden Folgen des Klimawandels bei regionalen Planungsprozessen einbezogen werden. Zudem sollen Strategien und Maßnahmen entwickelt werden, durch die Regionen und Wirtschaftsbereiche für ein Leben und Wirtschaften unter den Bedingungen des Klimawandels gerüstet sind. Damit soll zum einen die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit von Regionen erhöht, zum anderen die Entwicklung und Nutzung neuer Technologien, Verfahren und Strategien zur Anpassung an Klimawandel in Regionen vorangetrieben werden. Der Forschungsverbund nordwest2050 unter der Gesamtkoordination der Metropolregion Bremen-Oldenburg im Nordwesten e. V. setzt sich zusammen aus der Universität Bremen, der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg, der Hochschule Bremen, dem Sustainability Center Bremen und dem Forschungsinstitut BioConsult sowie diversen Praxispartnern. -