Thermische Speicher spielen in der Energiewirtschaft eine zunehmend wichtige Rolle. Sie lagern auf einfache und umweltfreundliche Weise selbst erzeugten Ökostrom zwischen. Und sie erlauben Stromkunden ein intelligentes und kostenoptimiertes Lastmanagement. Denn betrachtet man einmal den typischen Strompreisverlauf im Intraday-Markt, erkennt man teils erhebliche Schwankungen (pro MWh) innerhalb einer Stunde. Wer es schafft, seinen Bedarf darauf einzustellen, hat enorme Kostenvorteile. Dafür schaltet eine Kälteanlage dann ein, wenn Ökostrom verfügbar und günstig ist, kann so einen thermischen Speicher jederzeit aufladen und das Netz entlasten. Und Kühlmöbel, Kühlräume, sogar die Waren werden ebenfalls zu Kältepuffern. So gibt es Möglichkeiten, die alle eines gemeinsam haben: Die Senkung von CO2 -Emissionen und Stabilisierung der Netze.
Speichervarianten
In der Kältetechnik gibt es verschiedene Varianten der temperaturstabilen Speicherung im latenten Bereich. Einmal ist es möglich, eine Kühlsole bzw. ein Wasser-Glykolgemisch zur direkten Versorgung der Kühlstellen zu verwenden. Dann speichern häufig Phasenwechselmaterialien (Phase Change Materials, kurz PCM) im Speicher die Kühlenergie in einem reversiblen Phasenübergang. Die Vorteile einer solchen PCM-Speicherung liegen in den hohen erreichbaren Speicherdichten. So ist die Schmelzwärme verwendeter Materialien bis zu 60-mal höher als die spezifische Wärme von Wasser. Bei Bedarf sind außerdem Temperaturschichtungen mit Kunststoffkugeln oder Stäbchen verschiedener PCM-Füllungen innerhalb des Tanks möglich.
Die zweite Variante dient der Unterstützung einer Kälteanlage durch den Eisspeicher, um so die elektrische Verdichterleistungsaufnahme bei gleichbleibender Kälteleistung zu minimieren. Vor allem bei einer Booster- oder Kaskadenkälteanlage mit dem Kältemittel CO2, die das Kältemittel direkt in den Verdampfern der Kühlstellen verdampft, ergibt das aus thermodynamischen Gründen Sinn. Dieses System braucht im Vergleich zum Solekreislauf weniger verlustbehaftete Wärmeübergänge. Außerdem spart der Betreiber Kosten und Energie für große Soleumwälzpumpen.
Eisspeicher für CO2-Kälteanlage
In der 2019 fertig gestellten Verkaufsstelle Etagnières der Coop-Gruppe im Schweizer Kanton Waadt wurde die letztbeschriebene Variante umgesetzt. „Wir suchen stets nach Maßnahmen, die uns unserer Vision ‚CO2-neutral bis 2023‘ (siehe Infokasten) näherbringen“, meint David Guthörl, Leiter der Fachstelle Energie/CO2 bei Coop. „In Etagnières speichern wir die tagsüber solar produzierte Überschussenergie in einen 7,8 m³ großen Eisspeicher, um sie auch nachts für die Lebensmittelkühlung verwenden zu können. Davon sind 5 m³ für den Phasenwechsel nutzbar, was einer thermischen Energie von 460 kWh entspricht.“ Ein zweiter Effekt: Die PV-Anlage der Verkaufsstelle produziert, vor allem sonntags, häufig über-
schüssigen Strom. Dieser wird üblicherweise in das Stromnetz eingespeist, was dieses aufgrund von Leistungsschwankungen stark belastet. „Stattdessen speichern wir durch den Eisspeicher die Energie in Form von Eis“, so Guthörl. „Durch dieses Konzept konnte das Stromnetz entlastet und die Eigennutzung der PV-Anlage von 60 auf über 90 Prozent gesteigert werden.“
Das Kältekonzept dahinter
Die thermische Energie des Eisspeichers wird direkt im Kältekreis der CO2-Kälteanlage wiederverwertet, um den mechanischen Kühlprozess zu unterstützen und den dafür notwendigen Stromverbrauch zu reduzieren. Das vereinfachte Prinzipschema veranschaulicht die Einbindung des Eisspeichers im CO2-Kältesystem. Partner von Coop war die Frigo-Consulting und verantwortlich für Konzeption, Auslegung und Realisierung der Kälteanlage mit dem Eisspeicher. Der Projektverantwortliche Erik Wiedenmann erklärt, was dahintersteckt. „Um elektrische in thermische Energie umzuwandeln, werden ein Wärmeübertrager (Eisspeicher-Verdampfer) und zusätzliche Verdichter (Eisspeicher-Verdichter) verwendet. Die thermische Energie aus dem Eisspeicher kühlt über einen Unterkühler wiederum das CO2 im Kältekreis nach dem Gaskühler unter die Außentemperatur. Dadurch wird die CO2-Kälteanlage in einem effizienteren Betriebspunkt gefahren, was wiederum einen niedrigeren Stromverbrauch bei gleicher Kälteleistung bedeutet.“ Im Zusammenspiel mit der PV-Anlage bedeutet dies, dass bei Sonnenschein der eigenproduzierte Stromverbrauch der Kälteanlage steigt, aber bei Nacht oder starker Bewölkung reduziert wird. Durch dieses Regelkonzept wird die Eigennutzung der Energie aus der PV-Anlage erhöht und der Anteil an Einspeisung und Bezug aus dem Netz reduziert.
Prämiertes Pilotprojekt
Was einfach klingt, ist in Wahrheit technisch anspruchsvoll. Die Anlage in Etagnières dient Coop daher auch als Experimentierfeld, um herauszufinden, wie groß eine Photovoltaik-Anlage sein muss, damit eine maximale Eigenstromnutzung möglich ist, und wie ein optimales Speichermanagement aussehen kann. Dafür werden derzeit verschiedene Szenarien getestet. Aber schon im ersten Betriebsjahr seit Juli 2019 konnte mit dem Eisspeicher die Eigenverbrauchsquote für PV-Strom um bisher rund 30 Prozent gesteigert werden. Zwar sind die Investitionskosten für den Eisspeicher hoch und liegen inklusive eines einmaligen Entwicklungs- und Auswertungsanteils bei rund 300 000 CHF. Nach Aussage von Coop ist das aber in etwa
gleich viel, wie auch für einen adäquaten Batteriespeicher zur Vorhaltung von PV-Strom zu investieren wäre. Durch seine Langlebigkeit von wenigstens 30 Jahren ist der Eisspeicher der Batterie aber deutlich überlegen und hat dazu kein Entsorgungsproblem. Die Idee hat überzeugt, weshalb die Anlage in Etagnières als Pilotprojekt vom Schweizer Bundesamt für Energie (BFE) unterstützt wird. Ende 2019 wurde Coop darüber hinaus vom EHI Retail Institute in Köln für ihr innovatives Konzept mit dem Energiemanagement Award ausgezeichnet.
Coops Weg zur CO2-Neutralität
2008 formulierte Coop, bis 2023 im Kerngeschäft CO2-neutral zu sein, und hat in der Zwischenzeit den Schritt von der Vision zum Programm vollzogen. Seitdem gelang es nach eigenen Angaben, den jährlichen Ausstoß an CO2 um 27,5 Prozent (Stand: 2018) zu senken. Das gesamte Unternehmen wurde im Hinblick auf Potenziale für die Reduktion des Energiebedarfs sowie den Einsatz erneuerbarer Energien in den Bereichen Wärme, Strom und Treibstoff durchleuchtet. Coop verabschiedete ein Maßnahmenpaket, das einerseits den absoluten Energiebedarf bis 2023 um 20 Prozent gegenüber 2008 reduziert und anderseits den Anteil erneuerbarer Energien von 20 auf 80 Prozent steigert. Die Umsetzung der Maßnahmen soll dazu führen, dass Coop bis 2023 den selbst verursachten absoluten CO2-Ausstoß um rund 50 Prozent gegenüber 2008 reduziert. Zur Zielerreichung ergreift Coop nach eigenem Bekunden zuerst alle technisch möglichen und finanziell zweckmäßigen Maßnahmen. Was darüber hinaus unverhältnismäßige Kosten verursacht oder gar nicht vermeidbar ist, will das Handelsunternehmen ab 2023 über geeignete Projekte kompensieren. Die neue Verkaufsstelle in Etagnières wurde, wie alle Neu- und Umbauten, nach dem Konzept der Energie/CO2-Vision erstellt. Dies bedeutet,
Kommentar
Nicht nur system- sondern sektorübergreifend handeln
Es ergibt Sinn, Kälteanlagen auch zur Energiespeicherung einzusetzen. Elektrische Systeme zu betreiben, wenn überschüssiger Ökostrom verfügbar ist oder gehandelt werden kann, schont Umwelt und Geldbeutel zugleich. Kälteenergie und auch Abwärme thermisch zu speichern, wird einer der Schlüssel für das Glücken der Energiewende sein. Aber nur dann, wenn wir am Ende auch andere Sektoren damit koppeln, es nicht mehr nur alleine um den Eigenverbrauch geht. Kälteleistung wird dann nicht mehr bedarfsorientiert, sondern systemdienlich erzeugt. Also immer dann, wenn CO2-freier Strom für Kompressionskälte, oder wenn Abwärme auf dem benötigten Temperaturniveau für Sorptionsprozesse verfügbar sind. Zur direkten Nutzung für die Normal- und Tiefkühlung, für Prozess- und Klima-Kälte, oder sogar für die Bevorratung im Kühlgut und in thermischen Speichern. Um solche zukunftsfähigen Konzepte zu realisieren, müssen die im Planungsprozess und der anschließenden Versorgung Handelnden eng zusammenarbeiten. Der Lebensmittelhandel kann dafür eine Schlüsselrolle einnehmen, kann Vorbild für Gewerbe, Industrie und den Wohnungsbau werden. Der Coop-Markt in Etagnières ist ein richtiger Schritt. Wie der Supermarkt von morgen in einem Quartier tatsächlich sektorübergreifend gekühlt und beheizt wird, woher die zwischengespeicherte Energie dann kommt und wie ein vorausschauendes Lastmanagement funktioniert, sind Fragen, die Kreativität und vorbehaltslose Antworten brauchen.
Achim Frommann