Das Außenthermometer zeigt +25 °C, die Sonne brennt, es ist Januar. Im Emirat Katar am Persischen Golf wird es auch im Winter nicht kalt. Wir stehen also eher sommerlich bekleidet am Bürocontainer mitten auf der künstlich aufgeschütteten Halbinsel, auf der irgendwann Flugzeuge starten und landen sollen. Als Mitteleuropäer staunen wir über die Jacken und Westen der Einheimischen. Die warme Kleidung wirkt fehl am Platz bei einem Wetter, das eigentlich nach Strandurlaub aussieht. Gleichzeitig ernten wir verständnislose Blicke. Mit T- Shirts und Sonnenbrillen fallen wir auf, während wir an den geschätzt eintausend indischen Bauhelfern vorbeilaufen. Diese nehmen gerade am sogenannten „Toolbox - Talk“ teil. Von einem Podium und per Lautsprecher weist sie der Sicherheitsbeauftragte auf die Gefahren des Tages hin. Die Prozedur wirkt seltsam und unnötig.
Die Catering Facility ist darauf ausgelegt, täglich 85.000 Mahlzeiten für die Fluggäste herzustellen und verfügt über entsprechend zahlreiche und große Lager- und Produktionsmöglichkeiten. Dazu gehören Kühl- und Tiefkühlräume, Ein- und Durchfahrkühlschränke (sogenannte „Cabinets“), Schnellabkühler (Blast Chiller), Schockfroster (Blast Freezer), Portionierbänder mit Luftschleieranlagen (Cooling Curtains), Inbound-Chiller, Outbound-Chiller, Highbay-Chiller und viele weitere Anglizismen.
Knapp 400 Meter sind es vom Bürocontainer bis in den Rohbau, dann noch zwei Etagen rauf und 60 Meter quer über die Dachfläche. Wir stehen im Maschinenraum. Bisher ist außer der Bodenversiegelung aus grauem Epoxidharz und vereinzelten Rohrabhängungen für die Sprinkleranlage noch nicht viel zu sehen. Der Raum selbst ist gut 60 Meter lang, 20 Meter breit und wird später die „Kleinkälte“ beherbergen. Hinter diesem eher ironischen Namen verbergen sich die 3,5 Megawatt Kälteleistung, die auf NK, TK, Schnellabkühler und Schockfroster aufgeteilt sind. Die Leistung wird ausschließlich von Schraubenverdichtern bereitgestellt und an Solekreisläufe übergeben. Diese sollen dann alle Kühlstellen in der noch sehr übersichtlichen Catering Facility versorgen. Einzig der Schockfroster darf direkt verdampfen. Fürs Erste scheint das einfach eine Menge Arbeit zu sein, die sich Schritt für Schritt bewältigen lässt. Also eher typisch für eine Großbaustelle. Bei früheren Projekten im Nahen Osten hatte sich jedoch gezeigt, dass die hohen Temperaturen im Sommer alles deutlich schwieriger machen werden. Die körperliche Leistung wird dann auf ungefähr 30 bis 50 Prozent sinken, mentale Aufgaben gelingen langsamer und um die Mittagszeit ist man nicht gern im Außenbereich tätig. Am besten haben wir also vor dem Mai die schweren Dinge bewegt, gestellt und erledigt. Uns bleibt weniger Zeit, als wir dachten.
Der Sommer in Katar erreicht Temperaturen von bis zu 50 °C und eine hohe Luftfeuchtigkeit. Alle Kältekreise sind daher mit Verdunstungsverflüssigern ausgestattet und benötigen eine stetige Wasserversorgung. Damit können sie bis 50 °C Trocken- und 35 °C Feuchtkugeltemperatur bei +45 °C stabil verflüssigen. Die acht Kompaktschraubenverdichter für die NK-Kreise leisten zusammen 2,5 MW. Sie verdampfen bei -14 °C und bringen die Sole im Speicher auf -8 °C. Redundante Pumpen halten sie im Edelstahl-Rohrnetz durch das Gebäude in Bewegung.
Alte Gewohnheiten, neue Welt
Für heute jedoch steht erst einmal das Einbringen und Aufstellen der Sole-Speichertanks auf dem Plan. Diese kamen vor Monaten per Containerschiff und müssen in den Maschinenraum im zweiten Stock. Bisher liegen sie aber noch vor dem Gebäude im Sand. Da sollen sie nicht bleiben, also Kran bestellt, Tanks gestellt, Feierabend.
Zumindest wäre das so abgelaufen, würde die Baustelle nicht unter einer Verwaltung leiden, die in ihrem Mangel an Flexibilität und Geschwindigkeit selbst deutsche Behördenwege in den Schatten stellt. Der Flughafen ist für Katar ein Vorzeigeprojekt und wird medial begleitet. Daher bestehen die Behörde und der US-Amerikanische Generalunternehmer mit Nachdruck auf Sauberkeit und Sicherheit. Die gesamte Baustelle ist enorm papierlastig. Es gibt Anträge und Formulare für beinahe alles, was eigentlich schnell und unkompliziert ablaufen könnte. Wir bekommen also nicht so einfach unseren Kran. Und die Tanks anzuheben, ohne vorher „Risk Assessment Matrix“, „Job Safety Analysis“ und „Method Statement“ schriftlich einzureichen? Fehlanzeige. Das allgegenwärtige Mantra der Projektsteuerer aus Übersee lautet: „Every accident is avoidable“ - Jeder Unfall ist vermeidbar.
Die Arbeitsstruktur richtet sich nach dem international etablierten Labor-/ Supervisor - Prinzip. So verfügt der handwerklich arbeitende Teil (Labor) über keine nennenswerte Ausbildung. Sie sind handwerklich etwa auf dem Niveau mit frischen Auszubildenden im ersten Lehrjahr, können aber mehrheitlich keine vergleichbare Schulbildung vorweisen. Sie werden vom Vorarbeiter (Supervisor) für jede Tätigkeit bis ins Detail angeleitet. Dieser arbeitet selbst nicht handwerklich mit und hat in der Regel einen Bachelor in einem baurelevanten Fach. Dazu gibt es ein Color-Coding: Graue Helme für die Hilfsarbeiter, gelb für den Supervisor. Er hat Zeichnung, Notizblock und in einigen Fällen auch eine Trillerpfeife dabei.
GK
Ein regelmäßiger Anblick ist die Traube aus fünfzig grauen vor einem gelben Helm, der ihnen die nächsten Handgriffe erklärt. So muss täglich vor Arbeitsbeginn eine sogenannte „Starrt-Card“ ausgefüllt und beim Arbeitsschutz zur Unterschrift eingereicht werden. Der dazu gehörige Starrt-Talk soll alle Arbeiter auf die Besonderheiten und Gefahren ihrer unmittelbaren Arbeitsumgebung hinweisen. Es erinnert ein wenig daran, die Schuhe gebunden zu bekommen, bevor es raus zum Spielen geht. Angeblich ist das aber keine Übervorsicht, sondern Notwendigkeit, jedenfalls für die ungefähr zehntausend Hilfsarbeiter aus unter anderem Indien, Nepal und Zentralafrika. Die meisten von ihnen sind zum ersten Mal überhaupt auf einer Baustelle.
„GK“, englisch ausgesprochen, ist der Spitzname eines indischen Arbeitsschutzbeauftragten. Er ist für unseren Bereich zuständig und hat eigentlich einen langen Namen mit vielen Silben. Er lacht, als wir versuchen, diesen auszusprechen. „GK“ muss genügen.
Sein grüner Helm ist mit einer Vielzahl an Aufklebern übersäht. Sie zeigen an, wer zum Beispiel ein bestimmtes Training auf der Baustelle mitgemacht oder Zugang zu gesonderten Bereichen hat. GK trägt sie wie Rangabzeichen. Die grüne Farbe der Abteilung ES&H (Environment, Safety & Health) ist darunter nur noch schwer zu erkennen.
Wir sind als Supervisor eingesetzt, haben gelbe Helme, arbeiten jedoch handwerklich. GK steht vor uns und will nicht so recht verstehen, dass jemand sich die Hände schmutzig macht, obwohl er eine Ausbildung hat. Wir erklären, dass dies bei uns üblich sei. Daher halten wir es auch für unnötig, uns selbst eine „Starrt“-Einweisung zu geben. Er blickt uns verständnislos an und beharrt auf seinen Vorgaben. Hier wird zum ersten Mal deutlich, dass unsere Arbeitsmentalitäten sich stark voneinander unterscheiden. Diese Meinungsverschiedenheiten werden uns noch einige Steine in den Weg legen.
Die duale Berufsausbildung ist zwar im DACH-Gebiet und in Teilen Europas gängig, stellt aber international eine Ausnahme dar. In den meisten Ländern, in denen es Fachausbildungen gibt, finden diese rein schulisch oder rein praktisch statt. Das sorgt vor allem in diesem Fall für eine Barriere zwischen den Arbeitskräften. So kann der Supervisor den Arbeitern einen Vorgang zwar erklären, aber nicht praktisch zeigen. Andersherum fehlt den Arbeitern ein theoretischer Hintergrund, um eigenständiger agieren und Pläne umsetzen zu können. Die duale Ausbildung ermöglicht beides.
Mit dem Kopf durch die Wand
Die Prozeduren rauben uns die Zeit. Für eine Tätigkeit, die ein paar Stunden dauert oder maximal einen Tag in Anspruch nimmt, benötigen wir eine ganze Reihe an schriftlichen Genehmigungen, bevor wir loslegen dürfen. Wir rennen von einem Bürocontainer zum nächsten, in der Hoffnung, endlich die Unterschrift für das „Method Statement“ zu bekommen. Darin erklären wir, dass wir nicht über zwei linke Hände verfügen und tatsächlich halbwegs wissen, was wir da vorhaben. Zum Glück konnte schon vorher eine „Material Inspection“ gemacht werden. Diese wird von einem Repräsentanten des Projektsteuerers durchgeführt, um sicherzustellen, dass es sich bei den Tanks tatsächlich um Tanks handelt. All das mag absurd klingen, kratzt aber eigentlich erst an der Oberfläche. Wir sind auf andere Gewerke und das Wohlwollen der Safety-Abteilung angewiesen. Damit wird für uns auch das zur Pflicht, was wir für überflüssig halten.
Mittlerweile wird es dunkel. Wir stoppen die Arbeit und schauen auf die Uhr. Heute haben wir nichts erreicht und die Soletanks haben sich keinen Millimeter bewegt. Für diese brauchen wir scheinbar auch noch einen sogenannten “Rigging Plan”. Eine schriftliche Erklärung, wann, wie, wo und mit welcher Hand und welchem Haken und Gurt genau angefasst, angehoben und was dabei bewegt wird. Eine Bedienungsanleitung sozusagen, der auch Laien folgen könnten.
Die Tanks liegen derweil immer noch im Sand, und es beschleicht uns das ungute Gefühl, dass wir erst den Anfang der Bürokratie und Stolpersteine gesehen haben. Klar ist, dass wir eine neue Strategie brauchen, bevor uns der Verwaltungsaufwand überrollt. Mit dem Büro in Deutschland besprechen wir die Eigenheiten der Baustelle und kommen zumindest zu einer vorläufigen Erkenntnis:
Das wird wohl länger dauern. OB